Ökologisch und ethisch: Wie nachhaltige Produkte, die Welt verbessern
Ökologisch und ethisch: Wie nachhaltige Produkte, die Welt verbessern

Zwei als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2019 ausgezeichnete Unternehmen zeigen mit einem essbaren Löffel aus Getreide und veganem Leder auf Pilzbasis, wie man mit cleveren und nachhaltigen Produktideen gute Geschäfte mit einem guten Gewissen verbindet.

Ökologisch und ethisch: Wie nachhaltige Produkte, die Welt verbessern

Zwei als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2019 ausgezeichnete Unternehmen zeigen mit einem essbaren Löffel aus Getreide und veganem Leder auf Pilzbasis, wie man mit cleveren und nachhaltigen Produktideen gute Geschäfte mit einem guten Gewissen verbindet.

Ökologisch und ethisch: Wie nachhaltige Produkte, die Welt verbessern

Hemant Chawla hatte gerade den letzten Rest vegetarische Reispfanne mit einer Art hartem Knäckebrot aus seiner Schale gekratzt, als es ihm plötzlich klar wurde: Er aß ohne Plastiklöffel. Alle, die vor ihm in der Schlange warteten, hatten einen dieser weißen Einweglöffel bekommen. Bei ihm und seinen Freunden waren sie ausgegangen. Die freundliche Verkäuferin hatte der Gruppe, wie in Indien üblich, kurzerhand hartes Brot in die Hand gedrückt: „Das hat problemlos funktioniert, und geschmeckt hat das Brot auch noch“, erinnert sich der heute 24-jährige Hemant. „Warum machen das nicht alle“, dachte der BWL-Absolvent. „Wir könnten doch aus Brotteig oder so einen Löffel entwickeln. Das würde Milliarden an Plastiklöffeln sparen.“ 2016 war das, auf einem Streetfood-Festival in der westindischen Region Gujarat. Hemant und sein Cousin Kruvil Patel, ein Ingenieur, waren begeistert von der Idee, besetzten den familieneigenen Ofen und begannen „experimentell“ zu backen.

„Wir haben schon mehr als eine Million Löffel verkauft."

Unzählige Mischungen verschiedener Mehlsorten und bröselige Prototypen später, hielten sie die ersten essbaren Löffel in der Hand – die seit Herbst 2019 auch in Deutschland verkauft werden. Zusammen mit der Indologie-Studentin Juliane Schöning, die Hemant im Rahmen eines Freiwilligendienstes in Deutschland kennenlernte, gründeten die Löffel-Entwickler dazu die Kulero GmbH – was in der Weltsprache Esperanto für Löffel steht. „Als mir Hemant davon erzählte, war ich sofort überzeugt, dass das Produkt auch in Deutschland funktioniert“, sagt Kulero-Geschäftsführerin Juliane. Der Erfolg gibt dem Unternehmen recht: „Wir haben schon mehr als eine Million Löffel verkauft“, erzählt Hemant. Die Chancen dafür, dass die Zahlen künftig steigen, stehen sehr gut: Gerade hat die Bundesregierung ein Verbot von Einweggeschirr aus Plastik beschlossen. Sie folgte damit einer EU-Richtlinie, die ab dem 3. Juli in allen Mitgliedsländern in Kraft treten soll.

Noch werden die veganen und laktosefreien Getreide-Löffel in Indien produziert, wo Plastikbesteck bereits verboten ist und das Geschäft schon läuft. „Wir legen besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und setzten bei den Getreidesorten vermehrt auf Hirse und Gerste, da diese unkompliziert im Anbau sind und vergleichsweise wenig Wasser verbrauchen“, sagt Juliane. Die beim Transport entstehenden CO2-Emissionen gleiche Kulero durch Engagements wie Bäume pflanzen und die Unterstützung von entsprechenden NGOs aus. Um die Transportwege zu verringern, plant das Unternehmen künftig aber auch, eine Produktion in Deutschland aufzubauen. Daneben arbeitet das Kulero-Team an weiterem Besteck auf Getreidebasis. „Wir haben Pommes- und Salatgabeln sowie Göffel im Blick“, verrät Hemant. Langfristig, so das 2019 als Kultur- und Kreativpilot ausgezeichnete Unternehmen, könne man sich auch eine europaweite Expansion vorstellen.

Was ihr Geschäft angeht, ist das Kulero-Team jedenfalls zuversichtlich: „Es geht weltweit in Richtung Nachhaltigkeit, da entwickelt sich gerade ein enorm großer Markt für Besteck aus Getreide“, sagt die Kulero-Geschäftsführerin. Auch Michelle Grüne und Arved Bünning, die zusammen das Unternehmen Amberskin gegründet haben, treibt die Vision einer nachhaltigeren Welt. Ihr Unternehmen wurde ebenfalls als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2019 ausgezeichnet. Und auch ihr Produkt ist essbar – zumindest theoretisch. Dafür gedacht ist das vegane Leder auf Basis eines Pilzes, das vollkommen ungiftig und kompostierbar ist aber natürlich nicht.

„Ein Kilogramm unseres veganen Leders benötigt gerade einmal 50 Liter Wasser – das sind 0,3 Prozent der für tierisches Leder verwendeten Menge."

„Wir wollen tierisches Leder und Kunstleder aus Plastik langfristig künftig möglichst in all seinen Anwendungen ersetzen“, sagt Arved. Was nicht viel weniger als eine Revolution des bestehenden und milliardenschweren globalen Ledermarkt bedeutet. Die ökologischen und sozialen Vorteile, die das vegane Leder mitbringt, sind enorm: Um ein Kilogramm tierisches Leder herzustellen, werden etwa 17.000 Liter Wasser und rund zwei Kilogramm Chemikalien benötigt. Ein Großteil davon sind Chromsalze, die zum Gerben der Häute eingesetzt werden und bei falscher Anwendung, unsachgemäßem Transport oder unreinem Salz zu giftigem Chrom VI werden können. Trotz 2015 eingeführter EU-weiter Auflagen geht das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, dass immer noch rund fünf Prozent der Lederprodukte den zulässigen Chrom-VI-Grenzwert von drei Milligramm pro Kilo überschreitet. „Ein Kilogramm unseres veganen Leders benötigt gerade einmal 50 Liter Wasser – das sind 0,3 Prozent der für tierisches Leder verwendeten Menge“, erklärt Michelle.

„Wir beide sind Veganer und dachten, das muss doch menschen- und tierfreundlicher machbar sein.“

Darüber hinaus könne ihr Produkt in zwei Monaten und jeder Form, Farbe, Stärke und Größe individuell für den gewünschten Einsatzzweck produziert werden. Herkömmliches Leder hingegen brauche zwei Jahre für die Aufzucht der Rinder und dann noch einmal ein Jahr für den Gerbprozess der Häute, bei dem die Abwässer in den lederproduzierenden Ländern, vielfach ungefiltert in Trinkwasser-Flüsse geleitet werden. Ganz zu schweigen von sehr schlechten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen für die Arbeiter*innen. Der für Michelle und Arved persönlich wichtigste Punkt, der sie vor vier Jahren auf die Idee für das Material gebracht hat, ist aber die Vermeidung von Tierleid. Rund eine Milliarde Tiere schlachtet die globale Lederindustrie pro Jahr, schätzen Tierschutzorganisationen. „Viele davon, insbesondere die Rinder, werden auf engstem Raum gehalten, stark gemästet und unnatürlich früh getötet“, sagt Arved. „Wir beide sind Veganer und dachten, das muss doch menschen- und tierfreundlicher machbar sein.“

„Wir haben bereits Anfragen von interessierten Unternehmen aus allen lederverarbeitenden Industrien."

Was damals mit Pilzkulturen in Wannen und Eimern begann, die sich über die gesamte WG der beiden damaligen Industriedesignstudierenden erstreckten, ist heute zum handfesten Hightech-Unternehmen mutiert. Aktuell arbeitet Michelle, die zwischenzeitlich ein Chemieingenieurstudium in Braunschweig begonnen hat und nun kurz vor dem Abschluss steht, an einer automatisierten Produktion, zu deren Details sie noch nicht viel verraten kann: „Sowohl unser Produkt als auch die gesamte Maschine mit ihrem vollkommen neuen verfahrenstechnischen Prozess wollen wir patentieren lassen.“ Letzteres werde noch eine Weile dauern. Eine Pilotanlage, mit der die ersten Kooperationen angegangen werden können, soll aber schon in Kürze stehen. „Wir haben bereits Anfragen von interessierten Unternehmen aus allen lederverarbeitenden Industrien. Jetzt wollen wir das Material zusammen mit repräsentativen Schlüsselpartner*innen aus allen Branchen für die verschiedenen Warengruppen optimieren“, sagt Arved.

Ab Anfang nächsten Jahres soll ihr bisher selbstfinanziertes Unternehmen erstmals Geld verdienen. Der Trend und der gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit lassen einen langfristigen Erfolg von Amberskin erwarten. Die Marktforscher*innen des US-indischen Unternehmens Grand View Research schätzen jedenfalls, dass der Weltmarkt für Lederalternativen innerhalb des nächsten Jahrzehnts auf ein Volumen von 85 Milliarden Dollar wachsen wird. Von dem einen oder anderen Dollar für Amberskin sollte man da ausgehen.

Bilder: Arved Bünning, Steffi Hummel, Mirko Plha, Palak Jain, Susanne Hübner, Laurent Hoffmann.