„Die Kunst erfindet, die Wissenschaft entdeckt.” Mit diesen Worten differenzierte der Künstler Marcel Duchamp einst die Felder menschlichen Ausdrucks und unerschöpflicher Neugier. Dass die vermeintlichen Gegenpole auch harmonieren können, zeigte er Anfang des 20. Jahrhunderts, als er mit wissenschaftlichen Methodiken in seiner künstlerischen Praxis für Aufsehen sorgte. Die Relevanz interdisziplinärer Kollaboration zeigt sich heute mehr denn je in Geschäftsmodellen der Unternehmer*innen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Gutes Design belebt Korallenriffe wieder

Der Klimawandel, Umweltverschmutzung und Überfischung sorgen seit Langem für das Absterben der Korallenriffe weltweit. Die Auswirkungen des Verschwindens dieser marinen Superorganismen ist verheerend für Ozean, Planet und Mensch. Die Gründerinnen Dr. Ulrike Pfreundt, Marie Griesmar, Hanna Kuhfuß und Josephine Graf haben mit rrreefs 3D-gedruckte Systeme aus Ton entwickelt, die im Meer platziert werden und die Wiederansiedlung von Korallen anregen.

„Wir bauen geschädigte Korallenriffe wieder auf – nachhaltig, wissenschaftlich und mit hohem Nutzen für die biologische Vielfalt der Meere”, sagt Josephine Graf. Der Ansatz, Wissen aus der meeresbiologischen Forschung mit ansprechendem Design zu koppeln, sorgt hierbei für das Maximum an Funktionalität und Impact, erklärt Mitgründerin Dr. Ulrike Pfreundt: „Bei uns spielen sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft eine wichtige Rolle. Wir benutzen Kunstausstellungen und Initiativen, um eine breite Öffentlichkeit in das Thema mit einzubeziehen. Die Wissenschaft wiederum stellt sicher, dass wir die größtmögliche Wirkung für Korallen und Meeresbiodiversität erzielen.”

Die Multidisziplinarität des Projektes spiegelt sich auch innerhalb des Teams von rrreefs wider, berichtet sie: „Wir sind fünf Frauen mit unterschiedlichen beruflichen und akademischen Hintergründen: zwei Meeresbiologinnen, eine Künstlerin, eine Grafikdesignerin und eine Politikwissenschaftlerin.”

Eine Lebensmittelfolie, die mitdenkt

Damit unsere Ozeane künftig aufatmen können, braucht es auch an Land sowohl weniger Plastikverschmutzung als auch eine Reduktion von Lebensmittelabfällen. Die Gründerinnen von Vorkoster ermöglichen mit ihrer Produktinnovation gleich beides: Kimia Amir-Moazami und Dr. Sany Chea haben eine biobasierte, pH-sensitive Folie entwickelt, die den Verderb von proteinhaltigen Lebensmitteln farblich anzeigt.

„Als Unternehmerinnen setzen wir uns aktiv mit dem Problem der Lebensmittelverschwendung auseinander und möchten dazu beitragen, dass diese in privaten Haushalten vermieden wird”, sagt Dr. Sany Chea. „Wir sind uns bewusst, dass Lebensmittelverschwendung nicht nur eine ethische, sondern auch eine ökonomische und ökologische Herausforderung darstellt.”

Die Vorkoster-Folie verändert ihre Farbe, sobald die Lebensmittel unter ihr schlecht werden und bietet so eine kluge Alternative zum routinierten Wegwerfen von Nahrungsmitteln anhand ihres Haltbarkeitsdatums. Die Expertise der Produkt- und Prozessgestalterin vereinen sich mit dem Wissen der promovierten Chemikerin und machen das gemeinsame Produkt so innovativ, erklärt Kimia Amir-Moazami: „Die Kombination aus Naturwissenschaft und Design spielt bei der Entwicklung unserer Produkte eine entscheidende Rolle. Die Wissenschaft stellt sicher, dass die Technologie funktionsfähig und zuverlässig ist, während das Design Konzepte kreiert und die Produkte ansprechend und nutzer*innenfreundlich gestaltet.”

Interdisziplinarität bringt diverse Mehrwerte

Das Denken in festgefahrenen Kategorien ist nicht zielführend, wenn es um die Produktion wegweisender Innovationen geht, zeigen die Kultur- und Kreativpilotinnen. In Zukunft bedarf es einer flexibleren sowie ganzheitlicheren Denk- und Sichtweise für konkrete Problemlösungen. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gehören hier ebenso zusammen wie Wissenschaft und Kunst, meint Dr. Sany Chea von Vorkoster.

„Es war motivierend zu sehen, wie viele Menschen sich für unsere Arbeit interessieren. Es gibt eine große Nachfrage nach innovativen Lösungen, die Design und Wissenschaft verbinden.”

Auch die Gründerinnen von rrreefs spüren die Relevanz ihres Produktes anhand vieler anstehender Kooperationen sowie dem Eintreten der ultimativen Motivation des Unternehmens – der Wiederkehr der Korallen:„Den größten Erfolg sehen wir in unseren Pilot-Riffs „El Castillo“ auf der kolumbianischen Insel San Andrés. Nach nur drei Monaten konnten wir eine ähnliche Diversität an Fischen wie bei den natürlichen umliegenden Riffen feststellen”, berichtet Dr. Ulrike Pfreundt. Gutes Design, gepaart mit fundierter Wissenschaft, entfalte dort nicht nur seine volle Kraft. Es halte sogar noch Überraschungen bereit, sagt sie: „Wir sehen einerseits, dass unsere Lösung funktioniert, und zusätzlich, dass Korallen die erstaunliche Fähigkeit haben, sich trotz der anhaltenden Auswirkungen des Klimawandels zu regenerieren.”

Die Erfolge der Titelträgerinnen rrreefs und Vorkoster zeigen, wie schnell disziplinübergreifende unternehmerische Lösungen ihre Wirkung entfalten – vom Kühlschrank bis auf den Meeresgrund.

 

Text: Felix Jung

Fotos: Angela Alegria, Corales de Paz, Leila Tazi, Vorkoster, Michael Berge