„Im Corona-Sommer war klar: Das wird unser Sommer.“
Kreativunternehmer*innen hatten in der Corona-Pandemie Pech. Ihre Geschäftsmodelle funktionierten von einem Tag auf den anderen nicht mehr und Freiberufler*innen und Solo-Selbständige standen vor dem plötzlichen Aus ihrer Idee. Aber es gab auch viele Unternehmer*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft, die in der Krise neue Chancen sahen, schnell etwas Neues auf die Beine gestellt haben oder ihr Unternehmen neu gedacht haben. Eine ganz ähnliche Erfahrung hat das Startup “MyCabin” gemacht. Das Gründer*innenteam holte unter anderem mittels des Kreativ-Prozesses Effectuation aus den vorhandenen Mitteln, Möglichkeiten und Kontakten das Bestmögliche heraus. Eine faszinierende Erfolgsgeschichte über das Nutzen von versteckten Chancen in einer Krise. Wie die Effectuation-Methode funktioniert, kann hier nachgelesen werden.
Ein Travel-Startup gründen – in einer Zeit, in der man kaum reisen kann? Sophia Hummler und ihr Team haben genau das gemacht. Ihre Plattform „MyCabin“ vermittelt nachhaltige Schlafplätze, etwa auf Wiesen von Bauern oder in fremden Gärten. Schon vor der Coronakrise ertüftelten die Gründer*innen die Alternative zum Wildcampen am WG-Küchentisch. Dann war in der Pandemie Urlaub vor der Haustür plötzlich wieder in. Im Sommer 2020 begannen sie das Pilotprojekt auf Spendenbasis. Danach entschieden sich die jungen Gründer*innen für einen Reset. Während des Lockdown-Winters starteten sie ein Crowdfunding und bauten eine Community auf. Ein Launch im Frühjahr 2021 musste verschoben werden. Dann waren sie zurück: mit einem Konzept, das perfekt in die Zeit der Kontaktbeschränkungen passte – und auch nach der Krise Zukunft hat.
In wenigen Worten: Was macht ihr?
Sophia Hummler: Wir sind eine Vermittlungsplattform für naturnahe Übernachtungsplätze. Outdoorreisende können über unsere Plattform ihren perfekten Schlafplatz bei privaten Gastgebenden finden, etwa Bauern*Bäuerinnen oder Leuten mit einem coolen Garten. Wir wollen damit zum nachhaltigen Reisen anregen, kulturellen Austausch möglich machen – und mithelfen, dass die Landwirtschaft endlich mehr wertgeschätzt wird.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Mein Mitbewohner in Konstanz ist passionierter Wildcamper und wurde vor zweieinhalb Jahren dabei erwischt. Der Bauer war erst total sauer. Im Gespräch haben sie aber festgestellt, dass beide die Natur wertschätzen und gleich über Massentourismus und Bauwahn in den Alpen denken. Der Bauer hat dann gesagt: Wenn du das nächste Mal da bist, ruf mich doch einfach an. So ist die Idee entstanden – am Küchentisch in unserer WG. Anfangs waren wir fünf, inzwischen sind wir ca. 15 Leute.
„Die Leute stellen fest, wie schön die Heimat ist“
Das ging schnell!
Ja, im Corona-Sommer war klar: Das wird unser Sommer. Die Idee ist vor der Pandemie entstanden. Aber Corona war auch ein Katalysator für nachhaltiges Reisen – und hat es vielen Leuten bewusst gemacht, die das vorher vielleicht so gar nicht auf dem Schirm hatten.
Wie hat sich die Krise auf euer Unternehmen ausgewirkt?
Wir hatten letzten Sommer eine Pilotphase auf Spendenbasis und gemerkt: Die Leute stellen in der Krise fest, wie schön die Heimat ist. Es muss nicht Bali sein, nicht mal der Flug nach Mallorca. Es reicht, wenn man tolle Erlebnisse im Schwarzwald hat. Mikro-Urlaub ist wieder im Trend. Andererseits hat uns die Krise auch gehemmt. Wir wollten unsere Plattform März und Anfang April launchen – mitten in der 3. Welle. Aber das wäre unverantwortlich gewesen. Wir haben also abgewartet, die Website optimiert und ein neues Hygienekonzept aufgestellt.
„Wenn wir die Bewertungen auf unserer Plattform lesen, geht uns manchmal das Herz auf“
Musstet ihr euer Geschäftsmodell ändern?
Eigentlich war es ohnehin pandemiefest: Man kann bei uns ja kontaktlos reisen. Deshalb war es kein Umdenken, eher ein Reagieren und Abwarten. Es gab lange keine rechtliche Aussage, was überhaupt erlaubt ist. Die Frage war auch, wie man als Reise-Start-Up glaubwürdig in der Krise kommuniziert.
Eure Community ist euch besonders wichtig. Wie kann man sich die vorstellen?
Wir haben zwei Hauptzielgruppen: Reisende und Gastgebende – die sich aber auch vermischen dürfen. Das Schönste für uns ist, wenn ein kultureller Austausch stattfindet. Ein Gastgebender war total happy, als bei ihm*ihr zum ersten Mal Reisende übernachtet haben, auch Geflüchtete. Outdoor-Leute oder Menschen, die von ihrem stressigen Alltag abschalten wollen, treffen auf Familien oder Biobauern*bäuerinnen. Die zeigen ihnen, wie cool Regionalität ist. Oder fragen: Weißt du eigentlich, woher dein Fleisch kommt? Diese Gruppen treffen sonst vielleicht nicht aufeinander. Wenn wir die Bewertungen auf unserer Plattform lesen, geht uns manchmal das Herz auf.
Wie habt ihr diese Community aufgebaut?
Zum Teil haben wir selbst an Bauernhöfen geklingelt, das macht unser Akquiseteam heute noch. Wir haben einen Newsletter angelegt, der rund 8.000 Abonnent*innen hat. Im Sommer 2020 nahmen wir die Plattform offline, für einen Reset. Über den Winter haben wir bei einem Crowdfunding die Werbetrommel gerührt und die Community mit auf unsere Reise genommen, auch über Social Media.
Hat sich die Zielgruppe über den Winter verändert?
Ja, während der Pilotphase waren wir in dieser krassen Outdoorschiene drin. Corona hat unsere Zielgruppe geöffnet und mehr Menschen klar gemacht, wie schön es ist, draußen zu übernachten. Corona hat Campen wieder cooler und allgemein anerkannter gemacht.
Finanzielle Unterstützung brauchte MyCabin nicht: Die Pilotphase lief auf Spendenbasis, dann bekamen sie verschiedenste Fördergelder.
Ihr seid begeisterte Camper*innen. Wie war das, als du das erste Mal in der Coronakrise draußen übernachtet hast?
Das erste Mal Campen draußen hat sich nach einem Stück Normalität angefühlt. Es gibt mir wahnsinnig viel, einfach mal eine Nacht woanders zu schlafen. Einfach mal rauszukommen und zu sagen: Stopp. Dieser Tapetenwechsel, die Ruhe – das ist ein Freiheitsgefühl.
Ist die Natur in der Krise wichtiger geworden?
Ich glaube schon. Alle gehen wieder spazieren. Die meisten sind in einer sehr digitalen Arbeitswelt unterwegs und schätzen deshalb analogen Urlaub besonders. An vielen unserer Spots hat man nicht mal Handyempfang – ich glaube, die Leute suchen das. Es geht auch um coole neue Erlebnisse: Plötzlich muss man sich überlegen, wie man mit einem Gaskocher kocht.
„Die Krise hat ein Umdenken geschaffen: Wie können wir anders Urlaub machen? Wir werden eher gestärkt daraus hervorgehen.“
Ist euer Business in Gefahr, sobald die Pandemie vorbei ist?
Absolut nicht. Die Krise hat ein Umdenken geschaffen: Wie können wir anders Urlaub machen? Wir werden eher gestärkt daraus hervorgehen.
Aber vielleicht wollen später wieder alle Luxusreisen machen und fliegen.
Auch nach der Krise wird es Menschen geben, die sagen: Ich geh gerne im Schwarzwald campen, statt nach Thailand zu fliegen. Außerdem muss man mit uns ja keinen ganzen Sommerurlaub machen – zum Abschalten reicht oft ein Wochenende.
„Kreativunternehmer macht aus, dass sie eine Idee aus Leidenschaft umsetzen“
Ihr habt euch innerhalb eines Jahres verdreifacht. Hat das euer Geschäftsmodell angetrieben oder gebremst?
Wir sind aus einem studentischen Team in eine Unternehmensform hineingewachsen. Es war cool, zu fünft am Tisch zu sitzen, weil man relativ schnell viele Entscheidungen treffen konnte. Aber mit 15 Mitarbeitenden muss man sich anders organisieren, das war eine Herausforderung.
Welchen Tipp würdest du euch rückblickend geben?
Den Fokus nicht zu verlieren. Wir sind Erstgründer*innen und bekommen wahnsinnig viele Einflüsse von außen: Lass uns hier zusammenarbeiten und das noch probieren, und dies und jenes – da kann man den Überblick verlieren. Unser Unternehmensmantra ist inzwischen: What’s the job to be done?
Im Homeoffice arbeitete das Start-Up meistens auf einem digitalen Whiteboard – normalerweise sind ihnen analoge Post-its aber lieber.
Angenommen, jemand bietet euch 250 Millionen: Verkauft ihr euer Start-Up?
Ne! Ich glaube, Kreativunternehmer*innen macht aus, dass sie eine Idee aus Leidenschaft umsetzen. Die meisten, die ein Herzensprojekt verwirklichen, würden nicht verkaufen. Ich hoffe also für mich: Nein.
Was bedeutet Agilität für euch?
Man braucht die Fähigkeit, schnell zu reagieren und Dinge umzusetzen. Viel wichtiger ist es aber, glaube ich, auch resilient zu sein. Austern gehören zu den resilientesten Tieren. Man kann sie in jedes Meer werfen und sie überleben. Jedes Unternehmen, das sich als resilient bezeichnet, sollte eine Auster sein. Wenn man in ein fremdes Wasser geworfen wird, überlebt und aus Dreckwasser ein paar Perlen macht – dann hat man es geschafft.