Von Meetings über Konzerte hin zu Galeriebesuchen – zwei Jahre Covid haben eine Reihe von digitalen Errungenschaften mit sich gebracht, dank derer die notwendigen wie auch schönen Dinge des Lebens aus dem eigenen Bett mit WLAN-Verbindung umsetzbar wurden. Nun, da das Gröbste überstanden scheint, werden die Anwendungen jedoch keinesfalls zur Seite gelegt. Unsere Erlebniskultur hat sich verändert und mit ihr auch die Ansprüche an Online-Formate und deren Qualität. Kunst und Kultur, Bildung und Unterhaltung wollen mehr: digitale Bühnen mit dem Esprit des Realen. Analoge Erlebnisse mit technologischen Elementen. Die Titelträger*innen The Showmasters und SIRIUS arbeiten an genau dieser Schnittstelle, indem sie Audio, Bild und Emotionen von morgen entwickeln.

Als wären wir im selben Raum

Wochen und Monate permanenter Videokommunikation machen erfinderisch. Warum nicht Musikunterricht übers Internet stattfinden lassen? Leider gab es einen Haken: Konventionelle Videomeetings filtern einen Teil des Tonspektrums, weshalb eine qualitative Übertragung für Musiker*innen bisher nicht möglich war. Als Antwort ist Sebastian Riegelbauers Unternehmen SIRIUS entstanden:
“Mein Vater ist Kontrabassist – die tiefen und lauten Töne seines Basses wurden bei Zoom & Co. überhaupt nicht übertragen, weil die eingesetzten Audiofilter den Klang als Störgeräusch eingestuft haben. Mit SIRIUS haben wir ein digitales Musikzimmer entwickelt, das den vollen Klang von Musikinstrumenten und Gesang überträgt. Musiker*innen können sich nun weltweit auf hohem Niveau online austauschen.”

Auch bei Konzerten haben sich solche Audio-Innovationen mittlerweile etabliert, sagt Sebastian Riegelbauer. Die Berliner Philharmoniker streamen beispielsweise über die Digital Concert Hall, welche sämtliche ihrer Auftritte live überträgt. Welche Dimensionen solche Ansätze für Online-Konzerte erreichen können, sei zudem in den USA zu sehen: “Der Auftritt des Rappers Travis Scott im Videospiel Fortnite hat über 12 Millionen Zuschauer*innen erreicht und zeigt damit, welch ein großes Potenzial digitale Formate für Künstler*innen mit sich bringen können.

Neue Formate brauchen neue Stars

Wenngleich die Pandemie Experimente an vielen Stellen gnadenlos einforderte, so herrschte an anderen der Corona-Konservatismus. Was gerade nicht über den Haufen geworfen werden musste, blieb so, wie es eben war. Bekannte Namen wie Travis Scott untermauern die Vermarktbarkeit neuer Bühnen nun nachvollziehbar – Sollte es deshalb nicht an der Zeit sein, auch mit den dazugehörigen Shows etwas Neues zu wagen? Dies ist die Mission des Kollektivs The Showmasters, das hybride Showformate kreiert und produziert.
“Anspruchsvolle Unterhaltung mit Haltung fehlt uns in der deutschen Medienwirtschaft und genau diese Lücke wollen wir füllen. Mit Mut, sich von etablierten Gesichtern abzuwenden, neue Menschen aufzubauen und damit die Landschaft von innen heraus zu verändern”, erklärt Showmasters-Mitgründerin Zoé Philine Leduey.

„Anspruchsvolle Unterhaltung mit Haltung fehlt uns in der deutschen Medienwirtschaft und genau diese Lücke wollen wir füllen.“

Das eigene Programm “Let’s Play Showmasters” enthält Elemente der klassischen Talkshow, Youtube-Reaction-Formaten, Publikumsbeteiligung sowie der Streaming-Plattform Twitch. Denn ein digitales Format sei dann gelungen, wenn es mediale Alltagsriten durchbreche, sagt sie:
“Es muss mit unseren Handlungsgewohnheiten im Digitalen spielen, damit brechen, mich irgendwie irritieren, seltsam sein und sich vom alltäglichen, passiven Browsen, Surfen und Swipen abheben. Etwas, das uns aktiviert, in uns räsoniert, an uns kleben bleibt und das wir unbedingt mit anderen teilen wollen.”

Das Beste beider Welten

Doch so positiv das neue digitale Erleben auch ankommt, hat es gleichzeitig die Erwartungen des Publikums verändert, kommentiert Showasters-Mitgründer Tim Rosentreter:
“Nach einer großen Streaming-Welle ist vielen bewusst geworden, dass manche Formate für das Zuhause schauen gedacht und manche für eine reale Aufführungssituation konzipiert wurden. Nachhaltige Aufmerksamkeit zu generieren und Interesse für das Unbekannte zu wecken, ist schwieriger geworden. Und nun fortlaufend die unterschwellige Erwartungshaltung zu erfüllen, dass immer alles von überall, geschaut, gemacht, konsumiert werden kann.”

„Nachhaltige Aufmerksamkeit zu generieren und Interesse für das Unbekannte zu wecken, ist schwieriger geworden.“

Der ursprünglichen Anpassungsphase an den Medienkonsum ausschließlich von zuhause folgt mittlerweile eine Rückwärtsbewegung. Live-Veranstaltungen werden von jenen als anstrengend wahrgenommen, die zu Quarantänezeiten die eigene Introvertiertheit kennen und lieben gelernt haben. Der Aspekt gesellschaftlicher Teilhabe hinsichtlich finanzieller Mittel des Publikums, Barrierefreiheit und Diskrepanz zwischen ländlichen und städtischen Wohnorten beeinflussen die Dynamik außerdem, sagt Sebastian Riegelbauer von SIRIUS:
“Kulturveranstaltungen sind traditionell auf Live-Begegnungen ausgelegt. Durch Corona mussten sowohl Künstler*innen als auch das Publikum von dem einem zum anderen Tag auf digitale Formate umsteigen. Viele Zuhörer*innen profitieren von dieser Entwicklung, da die Barriere der Teilhabe deutlich sinkt.”

Die Entscheidung zwischen analogem oder digitalem Austausch von Musik, Kultur und Bildung wird in den kommenden Jahren individuell treffbar sein. Die unterschiedlichen Vorlieben und Bedarfe werden die Branche erneut verändern, glaubt Siegelbauer:
“Die Shows der Zukunft werden meiner Meinung nach hybrid. Indem die physische und die digitale Erfahrung nahtloser miteinander verbunden werden, bieten sich den Künstler*innen als auch dem Publikum neue Optionen, ohne dass diese Nachteile mit sich bringen.”

Das Einzige, was noch fehlt, ist der digitale Applaus.

Fotos: SIRIUS, The Showmasters, Kathinka Schroeder, ein.portrait, Dorota Jezierski, Thomas Mandl.

Text: Felix Jung