Termine, To-do-Listen, ständige Erreichbarkeit: Oft fühlt es sich so an, als rase das Leben an uns vorbei. Echte Verbindung, Empathie und Achtsamkeit können so im Trubel des Alltags auf der Strecke bleiben. „Wir haben verlernt, uns auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren“, sagt Johanna Buchholz, Mitgründerin von beherzt. „Weil wir durch den Alltag hetzen, anstatt uns selbst und unsere Mitmenschen wirklich zu sehen.” Um dem entgegenzuwirken, hat das Start-up Kartenspiele entwickelt, die tiefe Gespräche durch geschickte Fragen entstehen lassen.

Auch Dr. Johanna Ickert und Susanne Richter wissen, wie leicht zwischenmenschliche Nähe im Alltag verloren gehen kann. Mit kindr. haben die Unternehmerinnen eine App entwickelt, die ebenfalls Gamification für emotionalen Mehrwert nutzt und die emotionale Bindung in Familien und Beziehungen spielerisch stärkt. Sie verteilt Haushaltsaufgaben gerechter, schafft mehr Raum für Zweisamkeit und reduziert Mental Load, die sogenannte “Last im Kopf”, die mit der Verantwortung für den Alltag verbunden ist.

Doch wo ist der richtige Startpunkt, um Mitgefühl und innere Präsenz zurückzuholen? Für das Magazin der Kultur- und Kreativpilot*innen haben die Titelträger*innen ihre besten Tipps zusammengestellt. Ausprobieren erwünscht!

kindr_kehrmaschine_Illustration by Christiane Haas (fully licensed)
© Christiane Haas

  1. Nutzt das 10-Minuten-Ritual für mehr Verbundenheit
    Einfach zuhören, ohne Einwände oder Ratschläge. Regelmäßige Zwiegespräche wie diese mögen simpel erscheinen, entfalten jedoch eine erstaunliche Wirkung, sagt die Diplom-Psychologin Susanne Richter von kindr. Das Rezept dafür ist simpel: Eine Person spricht 10 Minuten lang, während die andere nur zuhört – präsent, aber ohne zu kommentieren. Anschließend werden die Rollen getauscht. „Diese ungeteilte Aufmerksamkeit ist in vielen Beziehungen selten geworden – und gerade deshalb so transformativ“, ergänzt Dr. Johanna Ickert. „Sie schafft Raum für echte Resonanz und stärkt das Gefühl, gesehen und verstanden zu werden.“ Die App von kindr. bietet hierfür Gesprächsimpulse, Erinnerungen und Strukturhilfen, um das Ritual alltagstauglich zu machen.

  2. Redet weniger aneinander vorbei
    Wer kennt es nicht: Das Gespräch mit Partner*in oder Freund*in geht schon lang, ein Konflikt steht im Raum. Doch worum ging es eigentlich? “Um in solchen Momenten Klarheit zu schaffen, hilft es, die eigene Wahrnehmung in Worte zu fassen”, rät Johanna Buchholz von beherzt. Und zwar ohne Vorwürfe. Formulierungen wie „Ich habe das Gefühl, dass du denkst, dass wir völlig unterschiedliche Urlaubsvorstellungen haben. Stimmt das?” bieten sich hierfür an, erklärt sie. Mit der eigenen Wahrnehmung als Startpunkt ließen sich Missverständnisse schneller klären, sagt die Gründerin. “So banal es vielleicht klingt – dieser Tipp hilft dabei, nicht mehr aneinander vorbeizureden.”

  3. Quality Time schaffen mit dem 3-Zeiten-Prinzip
    “Zeit ist in vielen Partnerschaften ein strukturelles Thema, kein reines Organisationsproblem“, sagt die Diplom-Psychologin Susanne Richter von kindr. „Deshalb empfehlen ich und meine Co-Founderin Johanna Ickert das sogenannte 3-Zeiten-Prinzip: eine bewusste, wöchentliche Abstimmung, bei der Paare gemeinsam festlegen, wie viel Raum es in der kommenden Woche für Me-Time, Paarzeit und Familienzeit geben soll. Das schafft Verbindlichkeit, fördert die Balance und reduziert den oft unausgesprochenen Frust über gefühlte Ungleichverteilung.“

  4. Frage dich: Wie frage ich?
    Nicht jede Frage ist wohl durchdacht, einige hauen wir einfach so raus. Dabei macht es Sinn, vorher innezuhalten und sich über die Wirkung der Frage bewusst zu werden. “Fragen können uns einander näher bringen – aber auch Distanz schaffen”, sagt die beherzt.-Mitgründerin Johanna Buchholz. Der Schlüssel zu echter emotionaler Nähe seien offene, wertfreie Fragen, so die Kommunikationspsychologin. Ihr Impuls: Anstatt den*die Partner*in für ein Verhalten zu kritisieren, bieten sich Fragen an wie “Wie fühlst du dich im Moment in unserer Beziehung?” oder “Was brauchst du gerade, um dich gesehen zu fühlen?”.

  5. Missverständnis, Diskussion oder Streit – was ist los?
    Ein Konflikt kann viele Nuancen haben und fühlt sich nicht für alle gleich an. Dies ist der Grund, weshalb manche Menschen noch stundenlang vor sich hin grübeln, während das Gegenüber schon längst zum nächsten Thema gewechselt ist. “Je nachdem, wie wir sozialisiert sind, wie sensibel wir auf Disharmonie reagieren, wie meinungsstark wir auftreten, nehmen wir Auseinandersetzungen unterschiedlich wahr”, sagt Johanna Buchholz. Wenn eine Partei die Situation als Streit empfand, die andere als harmlosen Austausch, könne dies zukünftige Konflikte verschärfen. Daher rät die Expertin: “Frag doch dein Gegenüber mal, wie er*sie die Situation benennen würde. Es könnte dich überraschen!”

  6. Kleine Gesten statt großer Dates
    Oft wird angenommen, dass tiefe Gespräche und besondere gemeinsame Erlebnisse der Schlüssel zu mehr Nähe und Intimität seien. Tatsächlich seien es jedoch die kleinen, unscheinbaren Interaktionen im Alltag, die eine Beziehung stabil und erfüllend machen, sagt kindr.-Mitgründerin Susanne Richter. Es sei wichtig, dass diese kleinen Momente Beachtung beim Gegenüber fänden. “Werden das Lächeln oder die Berührung nicht erwidert, ziehen sich Partner*innen allmählich zurück, und es entsteht eine abwärts gerichtete Spirale, in der Verbindung und Intimität immer seltener werden und lähmende Sprachlosigkeit einzieht”1 erklärt sie weiter. Damit es nicht dazu kommt, rät Susanne Richter dazu, sich bewusst einander zuzuwenden: “Gerade im stressigen Familienalltag sind diese kleinen Gesten – und das darauf eingehen – entscheidend, um die gemeinsame Verbindung zu stärken.”

  1. Verletzlichkeit verbindet.
    „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ – schon als Kinder wussten wir, dass Nähe durch geteilte Verletzlichkeit entsteht. Wer sich traut, ehrlich über Ängste oder Unsicherheiten zu sprechen, öffnet die Tür zu tiefen, echten Verbindungen. Mit zunehmendem Alter werden viele Menschen jedoch verschlossener. Sich wieder zu öffnen, könne daher sehr schwierig sein, bestätigt Johanna Buchholz von beherzt. “Wenn wir etwas zugeben, das wir am liebsten verdrängen wollen, machen wir uns vulnerabel. Und ermöglichen damit ein neues Level an zwischenmenschlicher Verbindung.”

  2. Empathie beginnt bei dir
    “Wenn ich nicht weiß, wie es mir geht, kann ich kaum offen auf andere zugehen”, erklärt Dr. Johanna Ickert. “Deshalb brauchen wir Räume und Momente, in denen wir nicht funktionieren müssen und einfach nur wahrnehmen dürfen.” Diese bilden die Grundlage dafür, dass zwischenmenschliche Begegnungen, so die Gründerin. “Sorge deshalb erst einmal für dich. Setz dich hin, leg die Füße hoch und atme bewusst ein paar Minuten lang durch.” Tiefe Atemübungen können das Nervensystem beruhigen, die Selbstwahrnehmung stärken und langfristig mehr Gelassenheit für zwischenmenschliche Beziehungen bringen, sagt Dr. Johanna Ickert. “Wer regelmäßig kleine Pausen für sich schafft, gewinnt emotionale Klarheit – und die macht empathisches Reagieren überhaupt erst möglich.”

„Je nachdem, wie wir sozialisiert sind, wie sensibel wir auf Disharmonie reagieren, wie meinungsstark wir auftreten, nehmen wir Auseinandersetzungen unterschiedlich wahr“

Johanna Buchholz, Co-Gründerin von beherzt.
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© Laura Graf

Mehr bewusste Momente sorgen für mehr Empathie

Die Tipps von Dr. Johanna Ickert, Susanne Richter und Johanna Buchholz zeigen: Empathie und Achtsamkeit müssen keine großen Gesten sein. Ganz im Gegenteil. Emotionale Intimität entsteht durch alltägliche Entscheidungen, die wir alle treffen können. Seien es die zehn Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit, die ehrliche Frage, die Nähe zulässt, oder die kleine Berührung am Küchentisch. Übrigens: Wer weitere Tipps gebrauchen kann, findet in der kindr.-App und in den beherzt.-Kartenspielen zusätzliche Anregungen.

  1. *Literatur: Christian Roesler, Paarprobleme und Paartherapie. Theorien, Methoden, Forschung – ein integratives Lehrbuch. Verlag: W. Kohlhammer, 2018 ↩︎