2020 kam die Veranstaltungsbranche nahezu zum Erliegen. Mit rund 60 % Umsatzverlust[1] im Vergleich zum Vorjahr 2019 waren Veranstalter*innen, Bühnentechniker*innen und Künstler*innen die Akteur*innen, die am stärksten von den Einschränkungen der Corona-Pandemie betroffen waren. Viele Konzerte und Festivals fielen ersatzlos aus. Wirtschaftlich schwere Zeiten, die in der Branche zum Umdenken und zu neuen Arten der Zusammenarbeit geführt haben. Jetzt steht der Festival-Sommer vor der Tür und die Branche zeigt: Sie ist zurück – und das mit nachhaltigen und ressourcenschonenden Ideen. Kein Wunder also, dass auch im 14. Jahrgang der Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland vier Unternehmen ausgezeichnet sind, die die Veranstaltungs- und Produktionsbranche kräftig umkrempeln wollen: Von cleverer CO2-Emissionserfassung über wasserlose Toiletten bis zu mobilen E-Stromsteckdosen.

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Musik, Kunst und Kultur ist seit jeher Inspiration und Motor für gesellschaftlichen Wandel gewesen. In Zeiten der Klimakrise müssen wir verstehen, dass wir alle nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung sein können.

Julian Vogels, Co-Gründer von Crowd Impact
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Grüner Starkstrom auf vier Rädern

Strom, Wasser und Transportmittel zählen zur Grundinfrastruktur einer jeden Großveranstaltung. Doch leider verbrauchen diese Dinge eine Menge Ressourcen. Felix Fahle schafft mit seiner Innovation Dreh-Strom Abhilfe beim Thema grüne Energie. Statt Strom aus Baustromkästen oder durch das Betreiben von Dieselgeneratoren zu beziehen, dienen E-Autos als Energiequelle. Dafür hat der Tüftler eigens ein Invertergerät entwickelt und 2023 patentieren lassen, der an die Batterie eines E-Autos angeschlossen wird. „Kleiner, leichter, effizienter. In Zeiten begrenzter werdender monetärer und CO2-Budgets besteht ein hoher Druck aus wenig mehr zu machen“, betont Felix Fahle mit Blick auf die Veranstaltungs- und Entertainmentbranche. Ursprünglich hat der gelernte Filmproduzent Fahle Dreh-Strom für die Filmindustrie entwickelt. Eine E-Autobatterie liefert 1,5 Tage Strom für die Beleuchtung eines Tatort-Filmsets und das mobil, leise und autark. Auch da, wo es sonst keine Starkstromquellen gibt oder die Benutzung von Dieselgeneratoren verboten ist, beispielsweise in Naturschutzgebieten. Und genau dieser Aspekt macht Dreh-Strom nicht nur für den Film, sondern auch für kleine Festivals oder Open-Air-Veranstaltungen interessant.

Den CO2-Emissionen auf der Spur

Neben der Energieversorgung gibt es noch einen weiteren CO₂-Fresser in puncto Festival. „Die Anreise des Publikums macht bis zu 80 % der gesamten Emissionen einer Veranstaltung aus”, weiß Laura Kleber von Crowd Impact. Um diese Emissionen zu senken, brauchen Veranstalter*innen zunächst aussagekräftige Mobilitätsdaten ihrer Besucher*innen – doch diese werden nur selten erfasst.

Genau hier greift die iPad-basierte Umfrage-App von Crowd Impact, erklärt Co-Gründer Julian Vogels: „Wir wollen der Veranstaltungsbranche wertvolle Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie die Anreisewege und -emissionen ihres Publikums erfassen können. So können individuelle, wirksame Strategien zur CO₂-Reduzierung entstehen und die Mobilitätsinfrastruktur verbessert werden.“ re:publica, Superbloom oder Splash! stehen bereits auf der Liste von Festivals, die Crowd Impact nutzen. Doch nicht nur Festivals sollen von ihrem digitalen Service profitieren. Für den Sommer 2024 haben die beiden Unternehmer*innen Pläne, ihr Angebot zu erweitern und neue Märkte zu erschließen: „Raus aus unserer Bubble und rein ins Ungewisse: Unsere App eignet sich genauso gut für Kulturbetriebe der Hochkultur, Sportveranstaltungen und den Tourismus.“

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Unverzichtbar  bei jedem Event: Trockentoiletten und -Urinale

Keine Veranstaltung vergeht ohne ewige Warteschlangen, gerade bei Frauentoiletten. Das nervt nicht nur Besucher*innen, sondern verbraucht auch wertvolle Ressourcen, wie die Kultur- und Kreativpilotin Lena Olvedi weiß. „Der Wasserverbrauch bei Club- oder Festivaltoiletten ist extrem hoch – bis zu 10 Liter wertvolles Trinkwasser werden pro Nutzung weggespült.“ Ihre Produktinnovation Missoir ist ein Trockenurinal und kommt ganz ohne Spülwasser aus. Für die self-made Unternehmerin war aber nicht nur die ökologische Komponente entscheidend für ihre Gründung – vielmehr das Thema gleichberechtigtes Pinkeln: Hinter Missoir verbirgt sich ein Hockurinal aus Edelstahl mit innovativem Spritzschutz, Geruchsverschluss und seitlichen Haltestangen, das schnelles Erleichtern in der Hocke für Frauen möglich macht. Eine Innovation, die eigentlich keine sein sollte, wie Olvedi sagt: „Ich wünsche mir, dass Clubs und Event-Betreiber*innen Missoir genauso selbstverständlich anbieten, wie sie auch Urinale für Stehpinkler bereitstellen.“ Seit der Unternehmensgründung 2020 konnte Lena Olvedi schon zahlreiche Kund*innen von ihrer Lösung überzeugen. Missoirs sind in Berlin an 12 öffentlichen Standorten und auch im legendären Club Berghain zu finden.

Um „Leben und Kot“ geht es dem Team von Finizio. Das seit 2019 erfolgreich am Markt agierende Unternehmen bietet verschiedene Trockentoiletten-Systeme an, die insbesondere bei Festivalbetreiber*innen gut ankommen. Im Jahr 2023 nutzten 27 Großveranstaltungen die sogenannten Humussphären – anstelle von Wasser oder Chemie wird Einstreu zum Abdecken der Ausscheidungen verwendet. Der Urin wird noch vor Ort in einen separaten Tank gepumpt, sodass kaum Gerüche entstehen. 23 Millionen Liter Trinkwasser konnten dadurch in der letzten Festivalsaison gespart werden. Doch dabei bleibt es nicht: Die Inhalte, die in der Toilette landen, werden von Finizio gesammelt, aufbereitet und weiterverarbeitet – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Das Besondere an unseren Toilettensystemen ist die Aufbereitung der gesammelten Ausscheidungen zu hochwertigen Recyclingdüngern. Bisher betreiben wir in Eberswalde die erste Recyclinganlage dieser Art“, unterstreicht Finizio Gründer Florian Augustin. Kot, der sonst die Toilette heruntergespült wird, fungiert als natürliche Rohstoffquelle für Phosphor zur Düngemittelherstellung. Die Anlage im brandenburgischen Eberswalde ist damit die erste in Deutschland und ein wichtiger Schritt für die Mission von Finizio: „Wir wollen den menschlichen Nährstoffkreislauf schließen – und das nicht nur für Festivals, sondern für das ganze Sanitärsystem. Wir wollen eine Abkehr vom trinkwasserverschwendenden Abwassersystem und hin zu einem System, das eine landwirtschaftliche Nutzung menschlicher Ausscheidungen möglich macht.“

 

[1] Vgl. https://www.ifo.de/DocDL/sd-2023-11-licht-sauer-wohlrabe-veranstaltungsbranche.pdf, aufgerufen am 27.02.2024

 

Text: Franziska Lindner

Fotos: privat, Klimaklitsche UG, Flavin Brass

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