Lilia Kleemann von Baukind
Lilia Kleemann von Baukind

Was unterscheidet "normale" Unternehmer von Kreativunternehmern? Nicht mehr so viel wie vor fünf Jahren, sagt Gründer-Mentorin Lilia Kleemann - weil beide Seiten viel voneinander gelernt haben. Und noch lernen können.

Die Kreativen werden professioneller

Was unterscheidet "normale" Unternehmer von Kreativunternehmern? Nicht mehr so viel wie vor fünf Jahren, sagt Gründer-Mentorin Lilia Kleemann - weil beide Seiten viel voneinander gelernt haben. Und noch lernen können.

Die Kreativen werden professioneller

Lilia, du bist seit 2011 Kultur und Kreativpilotin und hast seitdem alle Jahrgänge begleitet, neuerdings auch als Mentorin. Wenn du dir die Teams heute anschaust: Sind die Kreativunternehmer heute andere Gründertypen als vor sechs Jahren?

Absolut! Was mir zum Beispiel in diesem Jahr auffällt: Viele Teams sind viel fokussierter in Sachen Aufgabenverteilung. Sie machen sich früher klar: Was brauchen wir, wer kann sich um was kümmern, wer hat wo seine Stärken? Sie sind besser organisiert im klassischen unternehmerischen Sinne. Damals standen die Kreativpiloten-Teams alle eher am Anfang. Heute ist das eine unglaubliche Bandbreite an Alter, an Erfahrung, an Geschäftsbereichen. Wenn ich als Mentorin die Workshops oder Einzelgespräche begleite, nehme ich da mindestens so viel mit, wie ich selber geben kann.

VIELE BRANCHEN NÄHERN SICH DEM AN, WIE DIE KREATIVWIRTSCHAFT SCHON IMMER ARBEITET.

Woran liegt das?

Es kann damit zusammenhängen, dass man heute viel mehr mit dem Thema Gründen und Startups in Kontakt kommt. Kreativunternehmer orientieren sich heute auch mehr an der typischen Start-Up-Szene. Was ich gut finde, weil die „typischen“ und „untypischen“ Gründer viel mehr voneinander lernen sollten.

Was sind denn „typische“ und „untypische“ Gründer?

Wir sind vor Jahren einmal im Rahmen eines Businessplan-Wettbewerbs von einer Gruppe Studenten begleitet worden, bei denen „Gründung“ Teil des Studiengangs war. Die haben also „Gründer“ gelernt, was für uns damals absurd klang. Und da saßen wir uns gegenüber und wir haben gesagt: „Wie, ihr wollt einfach nur gründen, das ist euer festes Ziel?“ Und sie sagten: „Ja, wieso, wie war das denn bei euch?“ Und wir: „Uns ist das einfach so passiert, wir haben gemacht, was uns Spaß macht. Und als wir gesehen haben, wie groß die Nachfrage ist, mussten wir eben gründen.“ (lacht) Und die haben uns mit großen Augen angeschaut: „Wie, und ihr hattet kein Konzept?“ Und wir: “Nein.“ Und da dachte ich: Das ist ja Wahnsinn, das sind zwei Welten. Aber vielleicht können wir gerade deshalb so viel voneinander lernen.

Aber sind „Leidenschaft“ und „Herzblut“ und „Mission“ heute nicht Pflichtbegriffe in jedem besseren Pitchdeck?

Das stimmt, da nähern sich viele Branchen dem an, wie die Kreativwirtschaft schon immer arbeitet. Schau dir Theorien zu Marketingkonzepten an. Der Golden Circle zum Beispiel beruht auf drei Fragen: Why, what, how? Also: Was macht die Marke, wie macht sie das – und am allerwichtigsten: Warum macht sie das? Bei einer starken Marke musst du wissen, warum sie so arbeitet. Am besten am Beispiel Apple zu sehen, die ihre Rechner nicht nur über das Design oder die technischen Merkmale verkaufen, sondern vor allem über das Lebensgefühl. Wenn ich mir das ansehe, denke ich: Das ist für uns Kreative überhaupt nichts neues, aber hier wird es mal ganz klar in einer Methodik dargestellt, wodurch es auch zugänglicher wird.

Und man kann es schön als teure Seminarreihe verkaufen.

Ja genau. Und da kann die Kreativbranche noch lernen, sich zu öffnen. Warum wirkt sie denn so unzugänglich? Weil es da die Neigung gibt, sich abzusondern und zu sagen: Wir wollen anders sein. Und wenn ich zu diesem Club dazugehören will, muss ich ein bisschen abgedreht sein und vielleicht darf ich auch nicht so gut funktionieren…

…oder gar rechnen können…

(lacht) Genau. Und darum freue ich mich so über diese Entwicklung in den Kreativpiloten-Jahrgängen: Diese Professionalisierung, die Offenheit für Themen der klassischen Gründerszene. Durch diese Offenheit sind auch mehr Leute in den Teams, die andere Qualitäten mitbringen, und Themen, die für uns damals noch komplett neu waren.

ICH WEISS JA, WIE ES IST, WENN ALLES ZU SCHNELL GEHT UND EINEN ÜBERRENNT.

Ist das auch mit ein Beitrag des Kultur- und Kreativpiloten-Programms, dass in der Kreativszene klassische Gründerthemen salonfähiger werden?

Ja! Ja, ich glaube, dass das alles zusammenhängt. Das trägt dazu bei, dass sich die ganze Branche verändert, dadurch werden wir anders wahrgenommen. Es kommen auf einmal Leute mit einem anderen Background zu uns und bewerben sich.

Gibt es Entwicklungstrends in den Geschäftsideen der Kultur- und Kreativpilotenjahrgänge?

Ich finde es ganz spannend, wie sich in jedem Jahrgang die ganze Kreativbranche und die Themen der Zeit abbilden. Dieses Jahr zum Beispiel haben wir allein vier Unternehmen, die sich mit VR beschäftigen. Und auf der anderen Seite sehr anfassbare Sachen: Messer, Geschmack, Düfte, Holzspielzeug. Darin spiegelt sich der gesellschaftliche Trend, sich auch wieder mehr auf das Haptische zu besinnen.

Du hast eben beschrieben, dass die Kreativunternehmer schon sehr viel mehr Knowhow mitbringen als früher. Was brauchen die noch, worauf legst du als Mentorin den Schwerpunkt in deinen Screening-Gesprächen?

Das tolle an den Screenings ist ja, dass sie so breit gefächert und nicht vorstrukturiert sind. Die Teams können da mit allem reingehen, was sie gerade beschäftigt, und damit können wir ihnen wahnsinnig viel Zeit sparen. Ich erinnere mich, dass wir selbst oft nicht wussten, an wen wir uns mit bestimmten Themen wenden sollten. Und da ist ein so breit gefächertes Netzwerk an Mentoren wie bei dem Kreativpilotenwettbewerb unglaublich hilfreich. Ich bin als Mentorin aber natürlich auch sehr an der persönlichen Entwicklung der Menschen interessiert, welche in der Anfangsphase unglaublich herausfordernd ist. Weil meine Erfahrung aus den letzten Jahren ist, dass ein Unternehmen nur gesund wachsen kann, wenn du als Unternehmerpersönlichkeit gesund mitwächst und dich weiterentwickeln kannst. Ich weiß ja, wie es ist, wenn alles zu schnell geht und einen überrennt. Dann besteht die größte Herausforderung darin, sich genug Raum zu geben, um auch innerlich weiter wachsen zu können.

Und was sind das dann für Themen, die die Piloten mitbringen?

Auf jeden Fall klassische Fragen wie der Umgang mit Risiken und der Arbeitsorganisation oder inhaltlicher Strukturierung. Aber wenn ich es runterbreche, sind es ganz viele emotionale Themen: Wie präsentiere ich mich, wie gehe ich mit Verhandlungspartnern um oder mit meinen Mitarbeitern? Eigentlich geht es ständig um zwischenmenschliche Beziehungen. Und denen zugrunde liegt für mich immer der unbedingte Wille, Verantwortung zu übernehmen. Das macht für mich Unternehmertum aus: Dass man Verantwortung nicht delegiert, sondern übernimmt. Verantwortung für Prozesse – und für sich selbst und seine eigene Entwicklung, die man mit Neugierde vorantreibt.

TEXT: Georg Dahm

BILDER: Baukind