Dein Hund als Pullover
Dein Hund als Pullover

Ein zu 100 Prozent nachhaltiges Produkt herzustellen, ist so gut wie unmöglich. Anstatt jedoch vor der Komplexität der Herausforderung zu erstarren, konzentrieren sich diese als Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland ausgezeichneten Unternehmer*innen auf einzelne Elemente der textilen Wertschöpfungskette.

Dein Hund als Pullover: Innovationen der Kreativbranche gegen Fast Fashion

Ein zu 100 Prozent nachhaltiges Produkt herzustellen, ist so gut wie unmöglich. Anstatt jedoch vor der Komplexität der Herausforderung zu erstarren, konzentrieren sich diese als Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland ausgezeichneten Unternehmer*innen auf einzelne Elemente der textilen Wertschöpfungskette.

Dein Hund als Pullover: Innovationen der Kreativbranche gegen Fast Fashion

Bei YarnSustain zum Beispiel wird am Anfang der Kette angepackt, beim Rohstoff, in ihrem Fall Garn für Handstrick. Die Probleme bei der textilen Rohstoffbeschaffung sind vielfältig. Baumwollanbau zum Beispiel ist wasser- und pestizidintensiv. Bei der Tierhaltung für Wolle kann es ethische Bedenken geben. Dazu kommt die CO2-Belastung beim Transport aus fernen Ländern. Warum also nicht einen Rohstoff nehmen, der schon vorhanden ist, für den Tiere nicht extra gehalten und garantiert liebevoll behandelt werden — wie die Unterwolle von Hunden? Das Modell funktioniert so: Hundebesitzer*innen sammeln das von ihren Hunden ausgekämmte Unterhaar und schicken es an YarnSustain. Sie können sich das Entgelt dafür auszahlen lassen, beziehungsweise ganz oder teilweise an Organisationen wie den Tierschutzbund oder die tibetische Hundehilfe spenden. Das Material wird dann gewaschen und zu Garn weiterverarbeitet.

"Irgendwann hatte ich mal wieder die Unterwolle in der Hand während ich mich zuvor darüber ärgerte, dass es kein Garn gibt, das komplett meinen nachhaltigen und ethischen Ansprüchen genügte.“

„Die Idee hatte ich schon während meines Mode- und Strick-Design-Studiums“, erzählt Ann Cathrin Schönrock. „In meiner Familie gibt es acht Hunde. Irgendwann hatte ich mal wieder die Unterwolle in der Hand während ich mich zuvor darüber ärgerte, dass es kein Garn gibt, das komplett meinen nachhaltigen und ethischen Ansprüchen genügte.“ Ein Hund verliert im Durchschnitt 500 bis 600 Gramm Wolle pro Jahr. Beim Waschen halbiert sich das Gewicht, 300 Gramm Garn reichen etwa für einen Kinderpulli. Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen Kleidung aus Haaren von Hunden, die uns als Haustiere näher sind als zum Beispiel Ziegen. Auch taucht oft die Frage nach möglichem Geruch auf. Bei einem Kaschmirpulli käme jedoch niemand auf die Idee, im Laden erst einmal daran zu riechen — und ein Ziegenstall stinkt mit Sicherheit mehr als ein daheim gehaltener Hund. Das fertige Garn ähnelt in der Haptik Kaschmir oder Mohair, weist aber eben eine bessere Umweltbilanz auf. Auch ihre eigene Hündin Emma gibt ihre Wolle — „Ressourcenretterin“ nennt sie das.

An einer nachfolgenden Stelle der Wertschöpfungskette setzen Friederike und Florian Pfeffer von Woollaa an, der Produktion von Kleidungsstücken. Darüber, wie viele Kleidungsstücke jedes Jahr weltweit produziert, ohne überhaupt gebraucht zu werden, kursieren viele Zahlen: Manche Quellen gehen davon aus, dass bis zu 40 Prozent aller Kleidung weggeworfen wird, ohne jemals getragen zu werden. Bei Woollaa werden nur die Teile produziert, die auch tatsächlich bestellt werden. Möglich wird das durch eine digitale Strickmaschine, die auch in einer Stückzahl von 1 rentabel produzieren kann, denn in der Regel gilt bei Strick, wie auch bei den meisten anderen seriell hergestellten Produkten: Je mehr desto günstiger. Hier ist das anders.

"Menschen haben eine höhere Bindung an ein Produkt, an dessen Entstehung sie beteiligt waren."

Die Kund*innen können auf der Website das Produkt personalisieren. Das sind bisher Babydecken mit einem Wunschnamen darauf, Schals oder Kissen mit Sprüchen oder gar eigenen hochgeladenen Bildern. Der Design- und Bestellprozess ist einfach gestaltet, nach nur fünf Tagen wird geliefert. Wenn nur produziert, was tatsächlich konsumiert wird, dann kommen wir dem Prinzip Nachhaltigkeit einen großen Schritt näher. Bei Strick fällt zudem kaum Verschnitt und somit Abfall an. Die Produktion findet an einem Ort statt, CO2-Emissionen für den Transport halbfertiger Waren um den Globus entfallen. Bisher können nur rechteckige Teile hergestellt werden. In der Entwicklung sind nun Pullover, bei denen nicht nur Muster und Motive individuell konfiguriert werden können, auch die Art der Bündchen, die Form des Ausschnitts oder die Weite der Ärmel. „Die emotionale Bindung bei einem selbst entworfenen Stück ist höher, es wird länger verwendet“, sagt Friederike Pfeffer, ihr Partner Florian ergänzt: „Das wird auch der Ikea-Effekt genannt. Menschen haben eine höhere Bindung an ein Produkt, an dessen Entstehung sie beteiligt waren. Das erhöht den subjektiv empfundenen Wert.“ Der lange Gebrauch von Kleidung ist schließlich die nachhaltigste Form des Konsums.

Um gesamte Wertschöpfungsketten wie eben die der Textilbranche nachhaltiger zu machen, braucht es jede Menge Gestaltungswillen der Beteiligten, die sich nicht von der Komplexität der Aufgabe einschüchtern lassen, sondern versuchen, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Irgendwann werden sich die verschiedenen Problemlösungen zu einem Ganzen zusammenfügen.

Eine ausgeprägte Unternehmer*innenpersönlichkeit ist dabei sehr nützlich. „Was mir immer am meisten geholfen hat, ist meine Machermentalität. Man denkt natürlich viel über eine Idee und das Konzept nach, aber meistens ist Handeln nach dem Prinzip ‚learning by doing‘ der Game-Changer, sagt Ann Cathrin Schönrock von YarnSustain.

"Räder, die nicht an einem festen Gegenstand angeschlossen sind, werden sehr wahrscheinlich gestohlen."

„Es braucht ein unerschütterliches Vertrauen in die Zukunft, man muss daran glauben, dass Dinge formbar und gestaltbar sind, das ist eine Grundhaltung“, sagt Florian Pfeffer, der mit Friederike Pfeffer zusammen neben Woollaa auch die Designagentur und digitale Strategieberatung one/one mit Büros in Bremen und Amsterdam führt. Sie sagt, „Wir arbeiten gerne multidisziplinär und nach 15 Jahren Dienstleistung wollten wir gerne mal was produzieren.“

Aus dem gleichen Grund bestand auch bei tex-lock der Wunsch nach der Entwicklung eines eigenen Produkts — einer Lösung für ein Problem, das viele von uns kennen. „Die Idee kam mit dem persönlichen Schmerz“, erzählt die Modedesignerin und Gründerin Alexandra Baum. Räder, die nicht an einem festen Gegenstand angeschlossen sind, werden sehr wahrscheinlich gestohlen. Schwere Schlösser, teilweise mehrere, sind zur Sicherung notwendig und dennoch nicht dafür gemacht,  leicht abnehmbare Teile, beispielsweise teure Sättel, zusätzlich mit anzuschließen.

Beim patentierten tex-lock Fahrradschloss übernehmen mehrere textile Schichten um einen Metallkern Funktionen, die bislang nur Metall zugetraut wurden. Der vergleichsweise dünne Metallkern schützt vor Sägen, die Faserschichten bieten jeweils Schutz vor Feuer und Schneidwerkzeugen. Letzteres dadurch, dass sich zum Beispiel ein Bolzenschneider im Seil verkantet. Das ist, als wolle man mit einer stumpfen Schere Papier schneiden.

Der Vorteil durch die textilen Schichten: Die Schlösser von tex-lock sind viel leichter im Vergleich zu Konkurrenzprodukten aus Metall. Außerdem klappern sie nicht am Rahmen und zerkratzen so den Lack nicht. Mit der längsten Variante des tex-lock können sogar alle beweglichen Teile, wie eben Sattel, mitbefestigt werden. Am allerwichtigsten war den Gründerinnen jedoch ein durchdachtes, funktionales und gleichzeitig ästhetisch ansprechendes Produkt.

Zugegeben, das eigentliche Produkt ist nicht nachhaltig, außer der Tatsache, dass es langlebig ist — „Fasern auf natürlicher Basis haben diese extremen Eigenschaften einfach nicht.“ Es wird aber auf lokale Produktion und Lieferant*innen für kurze Transportwege Wert gelegt. In der Montage wird nur mit festangestellten Mitarbeiter*innen gearbeitet. Das Unternehmen steht für eine sorgfältige Verarbeitung ohne nennenswerten Materialausschuss bzw. -abfall. Es werden möglichst ökologische Verpackungsmaterialien eingesetzt. So macht „tex-lock“ den Einsatz eines Fahrrades noch alltagstauglicher und attraktiver.

Betrachtet man die Beispiele, scheint die Textilbranche ein vielversprechendes Feld für Kreative zu sein. Es darf gespannt sein, welche weiteren Produkte innovative Unternehmer*innen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft demnächst noch auf den Markt bringen würde – einen Pullover aus Katzenhaaren vielleicht?

Autor: Björn Lüdtke

Credits: Stephanie Braun, Rene Ten Broek, Stini Roehrs, Texlock GmbH