Warum ist Deutschland kein Trickfilmland?
Warum ist Deutschland kein Trickfilmland?

Die Simpsons, Family Guy, Ghost in the Shell: Im Ausland sind 2D-Animationen für Erwachsene ein wichtiges Genre, in Deutschland spielen sie kaum eine Rolle. Das junge Berliner Animationsstudio monströös will das ändern und eigene Produktionen auf den Markt bringen.

Warum ist Deutschland kein Trickfilmland?

Die Simpsons, Family Guy, Ghost in the Shell: Im Ausland sind 2D-Animationen für Erwachsene ein wichtiges Genre, in Deutschland spielen sie kaum eine Rolle. Das junge Berliner Animationsstudio monströös will das ändern und eigene Produktionen auf den Markt bringen.

Warum ist Deutschland kein Trickfilmland?

„Wir sind nicht innovativ.“ Nicht gerade die Aussage, die man von einer gerade preisgekrönten Startup-Gründerin erwarten würde. „Wir sind auch nicht die klassischen Gründer“, fügt Anna Levinson hinzu. „Wir wollen eine alte Kunstform erhalten und unter die Leute bringen.“

Annas Startup heißt monströös, und die Kunstform ist der 2D-Animationsfilm. Also nicht die hyperrealistischen Computeranimationen von den Pixars dieser Welt, sondern die klassisch gezeichneten Trickfilme. „Sendung mit der Maus“, „Die Simpsons“, „South Park“, „Rick and Morty“, „Ghost in the Shell“. Und schon diese Aufzählung zeigt das Problem: Nur die „Sendung mit der Maus“ ist eine deutsche Produktion. Und sie ist eine Produktion für Kinder.

2D-Animationsserien und -Filme für Erwachsene – dieses Genre will das Animationsstudio monströös hierzulande wiederbeleben. Dahinter stehen sieben gleichberechtigte Gründer*innen, die sich derzeit noch mit Auftragsproduktionen finanzieren, aber alle dasselbe Ziel haben: eigenständige Serien und Filme produzieren.

Wer die vielen Animationsserien wie „Bojack Horseman“ oder „Big Mouth“ auf Netflix sieht, könnte meinen, dass ein Studio wie monströös gut im Geschäft sein müsste. „Es ist auch gut, dass es jetzt diese Video-On-Demand-Dienste gibt, die einen Hunger nach Material haben“ sagt Henrike Rothe. „Aber bei den deutschen Sendern sehe ich diesen Hunger nicht. Und in der deutschen Filmförderung sind Animationsfilme für Erwachsene nicht vorgesehen, das Erfolgsrezept heißt hier: Kinderfilme nach Buchvorlage.“

Tatsächlich ist „Die Simpsons“ bis heute die einzige Animationsserie für Erwachsene, die auf einem deutschen TV-Sender kontinuierlich ausgestrahlt wird, schreibt der Branchenverband AG Animation in einer Studie zur Marktlage. Und die ist für deutsche Studios schlecht: 91,5 Prozent der in Deutschland ausgestrahlten Animationssendungen stammen aus dem Ausland. Zwischen 2010 und 2014 entstanden in Deutschland 19 Animationsfilme, in Frankreich waren es 47, gefolgt von Spanien (28), Schweden (25) und Großbritannien (23). Durch internationale Koproduktionen und Kofinanzierungen würden zwar auch hierzulande „Beschäftigung und Erlös erzielt“, die Branche lebe aber „von der Hand in den Mund“, die sozialen Standards seien „gering“, die Beschäftigungssituation oft „prekär“.

Solche Begriffe verwendet das monströös-Team nicht. „Ein bisschen mehr Geld fürs eigene Portemonnaie wäre schön, aber wir können unsere Studiomiete zahlen, wir können uns Gehälter auszahlen,“ sagt Anna. Als Unternehmen können die Ex-Freelancer wirtschaftlicher arbeiten – und unternehmerischer denken und handeln: Wenn plötzlich mehr Aufträge hereinkommen, können sie die Arbeit unter sich aufteilen – und den Partner*innen den Rücken freihalten, die gerade an einem eigenen Animationsprojekt sitzen, das kurzfristig kein großes Geld einbringt, aber strategisch wichtig ist.

„Du lebst von den Aufträgen, bei uns sind das zum Beispiel Erklärfilme für Gewerkschaften oder Animationen für TV-Produktionen. Aber du musst auch eigene Projekte machen, um dir einen Namen zu schaffen“, erklärt Matija Strnisa, der bei monströös das Sounddesign macht. Nur eines der vielen Gewerke, die man für 2D-Animationen braucht – was viele Kunden nicht wissen. „Die Leute haben diese Vorstellung: Heute ist doch alles digital, da drückt man auf einen Kopf und dann springt da so ein lustiges Männchen durch die Gegend“, sagt Anna.

Ein Teil des Problems. „In Deutschland werden kaum Producer im Animationsbereich ausgebildet, es gibt einen Studiengang in Ludwigsburg und das war’s. In Frankreich hat die Animation einen ganz anderen Stellenwert, und deswegen sind da viel mehr Producer auf dem Markt die wissen, wie man Animationen plant und kalkuliert.“

Eigentlich leistet monströös mit jedem Auftrag Bildungsarbeit, sagt Henrike. „Die Leute wissen nicht, wie Animationsfilme entstehen. Und deswegen haben sie auch Probleme, uns zu vertrauen, wenn wir unsere Budgets aufstellen.“ Auch deswegen haben sich die sieben Einzelkämpfer*innen zusammengetan: „Wenn wir als Freelancer unsere Preise genannt haben, bekamen die Kunden einen Schreck“, sagt Anna. „Wenn wir als Unternehmen, als Studio zum Kunden gehen, ist es viel leichter, die Preise zu erklären und durchzusetzen, die wir für unsere Arbeit nehmen müssen, wenn wir professionell sein wollen.“

Seit 2018 bekommt monströös etwas mehr Rückenwind: Die Bundesregierung hat das Animationsstudio als „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ ausgezeichnet. Jedes Jahr geht dieser Titel an 32 Teams, die in der Kultur- und Kreativwirtschaft besondere Gründungsideen verfolgen. „Wir bekommen dadurch eine gewisse Sichtbarkeit“, sagt Henrike. „Auf einmal werden Leute auf uns aufmerksam, die sich sonst nie für 2D-Animationen interessiert hätten.“

Gleichzeitig bedeutete die Auszeichnung einen Reality Check: Zum Kreativpiloten-Programm gehören Workshops mit den anderen Preisträgern. „Da haben wir nochmal gemerkt, wie kryptisch das auf andere wirkt, wenn wir erklären, was wir machen“, sagt Henrike. Exotisch hätten die anderen Pilotenteams auch die Firmenstruktur von monströös gefunden: „Alle wollten wissen, wie wir denn mit sieben gleichberechtigten Gründer-Geschäftsführer*innen überhaupt handlungsfähig sind.“ Man dürfe halt keine anstrengende Persönlichkeit haben, sagt Matija. „Und wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass wir vom Humor und Stil her zusammenpassen.“

Im Geschäftsalltag lautet der Schlüssel: Vertrauen darin, dass alle ihre Aufgaben machen. Wertschätzung auch für die Arbeiten, die Kreative eher profan finden, geschäftlich aber extrem wichtig sind – und die sie als Unternehmen monströös viel effektiver bewältigen: Buchhaltung, Webseite, Pressearbeit. „Und sehr viel Kommunikation“, sagt Anna. „Wir sprechen auch darüber, was bei uns neben der Firma noch im Leben passiert und nehmen uns die Zeit, gemeinsam Probleme zu lösen“.

Und an der Vision für monströös zu arbeiten: „Die Kreativpiloten-Workshops haben ein paar Punkte bei uns angestoßen, die wir jetzt gemeinsam weiterentwickeln“, sagt Henrike. Die Zeit sei günstig, es komme Bewegung in den Markt: „Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland wieder mehr Studios entstehen. Und es gibt jetzt endlich ein Animationsfilmfestival in Berlin, das ist ganz wichtig, um unser Genre sichtbar zu machen. Wir sprechen mit Kinobetreibern darüber, dass wir Animationsfilme ins Vorprogramm bekommen, wir haben Ideen in Richtung Fahrgastfernsehen, wir wollen dieses Format über alle möglichen Kanäle rauspusten.“

Vielleicht sogar irgendwann mal über einen deutschen Fernsehkanal. Das wäre doch wirklich mal innovativ.