DIESE UNTERNEHMER*INNEN MACHEN DIE PROVINZ ZUM KREATIVORT
DIESE UNTERNEHMER*INNEN MACHEN DIE PROVINZ ZUM KREATIVORT

Der letzte Bus ist weg und im Jugendtreff hängen komische Typen rum: So muss Dorfleben nicht aussehen. Zwei Startups wollen das kreative Potenzial ländlicher Räume heben.

DIESE UNTERNEHMER*INNEN MACHEN DIE PROVINZ ZUM KREATIVORT

Der letzte Bus ist weg und im Jugendtreff hängen komische Typen rum: So muss Dorfleben nicht aussehen. Zwei Startups wollen das kreative Potenzial ländlicher Räume heben.

DIESE UNTERNEHMER*INNEN MACHEN DIE PROVINZ ZUM KREATIVORT

Mit 18 hast du viele Möglichkeiten, dich unglücklich zumachen, findet Dimitiri Hegemann: „Du darfst heiraten, dir einen Hauskredit ans Bein binden, mit der Bundeswehr in den Krieg ziehen. Aber man traut diesen jungen Erwachsenen nicht zu, dass sie in Eigenregie eine alte Bruchbude wieder aufbauen, wo sie sich gerne treffen und ihre eigene Welt entwickeln.“ Dimitri coacht Jugendliche, die die Langeweile aus ihren Dörfern und Kleinstädten vertreiben wollen, das Passive, das immer Gleiche mit den immer gleichen paar Gesichtern. „Wir helfen ihnen dabei, sich Räume unter Selbstverwaltung zu schaffen, in denen sie experimentieren können. Eigentlich bauen wir mit ihnen kleine Startups auf.“

Hegemann kennt man als Gründer des Berliner Techno-Clubs Tresor, aber er kommt vom Dorf. Und weiß, wie schnell das Dorf seine Aktiven und Kreativen an die Stadt verliert, wenn es kein Kulturprogram für junge Menschen gibt und das einzige Angebot ein behördlich geführtes Zentrum ist, „wo Du um 18 Uhr raus musst, denn dann kommt der Männergesangsverein.“ Zusammen mit der Designerin Annette Ochs hat er die Initiative Happy Locals gegründet; zusammen gehen sie in ländliche Gemeinden und entwickeln mit den jungen Menschen vor Ort die Räume und Angebote, die sie sich wünschen: „Die haben Ideen, die wissen, wo es Leerstand gibt. Nach drei Stunden Workshop sind die jungen Leute meistens schon so weit, dass sie ihre Wünsche vor der Verwaltung präsentieren könnten – wenn es eine offene Gesprächskultur auf Augenhöhe gibt, leider besteht da oft eine Hemmschwelle.“

Die Erfahrung, etwas bewirken und gestalten zu können, ist ein Schlüssel gegen die Landflucht, sagt Annette: „Unser Hauptziel ist, dass die jungen Menschen entweder dort bleiben, weil sie sich eine sinnerfüllte Existenz schaffen – oder dass sie auch gerne wieder zurückkommen.“ Der Bedarf sei da: „Wir hören das so oft, dass die etwas Älteren nach Reisen und Studium aus der Großstadt zurückkommen, weil es ihnen da zu anstrengend geworden ist.“

Julianne Becker kann das unterschreiben. Über Vietnam und Berlin hat es die gebürtige US-Amerikanerin auf einen Gutshof in Brandenburg verschlagen, den sie zusammen mit ihren fünf Mitgründer*innen zum Coworking-Space „Coconat“ ausgebaut hat. „Den Impuls gab ein Freund, der sich immer einen ruhigen Ort zum Arbeiten gewünscht hat, wenn er vor einer Deadline stand.“

Tage- oder wochenweise einmieten, allein oder in Gruppen, viel Ruhe, gemeinsames Essen und lange Spaziergänge in der Natur: Coconat klingt ein bisschen nach Eskapismus für gestresste Großstädter, soll aber mehr sein. „Wir wollten hier kein Ufo in der Provinz landen“, sagt Julianne. „Coconat soll auch ein Ort für die Menschen von hier sein, der ihnen etwas bringt.“ Im Coconat tagt der Gemeinderat, werden Geburtstage und Weihnachten gefeiert. Auf dem Hof hat eine mobile Mosterei ihren Firmensitz gefunden, jeden Monat gibt es einen Stammtischen von Medienschaffenden aus der Region, ein Frauen-Netzwerk berät beim Wiedereinstieg in den Beruf. „2019 eröffnen wir außerdem ein Fab Lab mit einem Schwerpunkt in Holzverarbeitung, was hier in der Region ein großes Thema ist. Und wir haben zusammen mit der Gemeinde Bad Belzig ein Konzept entwickelt, mit dem wir den Wettbewerb ‚Smart Village‘ der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gewonnen haben.“

So wie Dimitri und Annette will auch Julianne nicht nur kreativ sein, sondern etwas bewirken. Auch darum sind Happy Locals und Coconat mit dem Titel „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ ausgezeichnet worden. Seit neun Jahren vergibt die Bundesregierung diesen Preis an Unternehmen, die zeigen, welches Potenzial in der Kultur- und Kreativwirtschaft steckt. „Für uns war das ein wichtiger Schritt, um uns als Unternehmen zu festigen“, sagte Annette. „Mit unseren Mentoren aus dem Programm sprechen wir darüber, wie wir unsere Finanzierung verbessern. Momentan leben wir noch von unseren Hauptberufen.“

Bei Coconat sind es vor allem Fragen der GmbH-Gründung, die in den Gesprächen eine Rolle spielen. Das Geschäftsmodell funktioniert, sagt Julianne, und zusammen mit ihren Mitgründer*innen möchte sie anderen Teams dabei helfen, ländliche Kreativräume zu gründen. Ihre Erfahrungen gibt sie darum gerne weiter. Zum Beispiel diese: Wer auf dem Land landen will, braucht soziale Netzwerke. Was hier bedeutet: echte Menschen, denen man die Hand gibt. Menschen, denen anderen vertrauen, die Türen öffnen, Hürden abbauen. Bei Coconat war es der Ex-Hausmeister des leer stehenden Landhotels, in dem der Coworking-Space entstanden ist. „Wir haben uns gleich angefreundet, er hat uns dabei geholfen, die richtigen Leute zur Eröffnung einzuladen, ohne ihn hätten viele Nachbarn bis heute keinen Fuß durch die Tür gesetzt.“

Dass man nicht einfach als Experte aufschlagen kann, war auch Dimitri und Annette von Anfang an klar. „Wir machen schon vor dem Workshop einen Kick-off in der Gemeinde und laden sowohl die wichtigen Leute aus Verwaltung als auch Multiplikatoren aus der Jugendszene ein, damit die die Botschaft an die anderen bringen. Das ist total wichtig.“

Ebenso wichtig: Happy Locals geht nur in eine Gemeinde, wenn die Einladung von der Verwaltung oder der örtlichen Wirtschaft kommt. „Die Industrie hat ja auch ein Interesse daran, dass Intelligenz da bleibt.“ Im Idealfall sind sowohl die Unternehmen als auch die Politik an Bord – „die Gemeinden haben ja nie Geld für irgendwas, obwohl das ihr gesetzlicher Auftrag ist. Das vergessen die gerne.“

Gleich bei ihrem ersten Projekt haben Annette und Dimitri erlebt, was passieren kann, wenn die Politik nicht mit an Bord ist. „Das war ein schwieriger Ort in Brandenburg, aber die Jugendlichen haben ein tolles Konzept für selbstverwaltete Häuser entwickelt. Und dann hat der Bürgermeister einen Rückzieher gemacht und stattdessen ein Festival mit der Rotary-Jugend umgesetzt. Die waren ihm und insbesonders seiner Verwaltung genehmer, wurde aber einen Teil der jungen Menschen vor Ort überhaupt nicht gerecht.“

Es sei erstaunlich, welche Vorurteile oft noch gegenüber selbstverwalteten Jugendprojekten herrsche: „Die denken, da wird bloß gekifft und geknutscht. Aber diese jungen Menschen entwickeln in ihren Projekten eine wahnsinnige Energie. Die rasen da den ganzen Tag durch die Stadt von und reißen was auf, die fangen selber an, Wasser zu legen, zu kacheln, zu planen.“

Vor allem das Planen ist wichtig, sagen Annette und Dimitri: „Dass da etwas dauerhaftes entsteht, dass die ein Programm haben, mal ein Film, Freitags kommt eine Band, einmal im Monat zusammen essen. Durch so etwas entsteht eine Community, und das zieht dann auch andere Leute an, auch aus anderen Dörfern.“ Und es geht nicht nur um Freizeitgestaltung: „Es geht auch darum, dass sie ein Bewusstsein entwickeln für ihre Gemeinde und was sie daraus machen können“, sagt Annette. „Neudeutsch nennt man das Social Design, und das sollte man eigentlich schon in der Schule lernen.“

Vielleicht ist es aber auch ganz gut, dass sie das „von Leuten mit unserem Hintergrund hören, die auch schon mal gescheitert sind“, sagt Dimitri. „Wir glauben, dass in jeder Gemeinde ein Potential an jungen Machern vorhanden ist. Wichtig ist, dass die Verwaltung ja sagt zu ihren Jugendlichen und deren unangepassten Ideen.“