NACHHALTIG EINGESPANNT
NACHHALTIG EINGESPANNT

Nachhaltigkeit, dieses überstrapazierte Wort. Sagt sich so leicht, ist so schnell in eine Präsentation geschrieben, in eine Firmenphilosophie reingeschwurbelt. Aber ein wirklich nachhaltiges Unternehmen aufbauen – das ist harte Arbeit. An die sich diese vier Startups herangewagt haben.

NACHHALTIG EINGESPANNT

Nachhaltigkeit, dieses überstrapazierte Wort. Sagt sich so leicht, ist so schnell in eine Präsentation geschrieben, in eine Firmenphilosophie reingeschwurbelt. Aber ein wirklich nachhaltiges Unternehmen aufbauen – das ist harte Arbeit. An die sich diese vier Startups herangewagt haben.

NACHHALTIG EINGESPANNT

Wenn das Glück wirklich zu den Tüchtigen kommt, wo bleibt es dann bitte jetzt, dachte Ozan Durukan Ende 2014. Seit fast vier Jahren opferte sich der Unternehmer schon für seine Idee Meinwoody.de auf: Anpflanzsets mit Samen, Erde und Dünger in einem Topf aus Kokosfaser. Per Internet zu bestellen. Erde in den Topf, Samen rein, Wasser drauf und los geht’s: ob Küchenkräuter und Gemüse fürs Urban Gardening oder Bäume für den eigenen Garten. Nach Ozans Vorstellung soll mit meinwoody jeder seinen grünen Daumen entdecken können. Abfall entsteht keiner, denn alle Bestandteile sind nachhaltig hergestellt, kompostierbar und gehen wieder in den natürlichen Kreislauf zurück.

Meinwoody.de ist geradezu vorbildlich nachhaltig. Nur mit seinen eigenen Kräften ging der Unternehmer mit den türkisch-iranischen Wurzeln nicht nachhaltig um. Dazu kam, dass die Stimmung in der Seed Evolution UG, die Ozan zusammen mit seinem Bruder Ayhan und dem befreundeten Mediengestalter Michael Beetz 2014 gegründet hatte, angespannt war. „Ich hatte das Gefühl, dass ich mich abrackerte un die Arbeit immer mehr wurde, mich aber alle damit allein gelassen haben“, sagt Ozan. Genau in diese intensive Phase fiel das Jahr bei den Kultur- und Kreativpiloten.

„Zuerst war ich echt skeptisch“, sagt Ozan. Vom Wettbewerb hatte er noch nie gehört. Aber eine Büronachbarin hatte ihn extra deswegen angerufen: Ozan, mach da mal mit! Also habe er sich bei den Kultur- und Kreativpiloten beworben, sagt Ozan. „Ein Glücksfall für unser Unternehmen.“

ICH HATTE DAS GEFÜHL, DASS ICH MICH ABRACKERTE UND DIE ARBEIT IMMER MEHR WURDE.

Zusammen mit den Mentoren des u-Instituts ging er das Gefühl der Überforderung und des „Unverstanden-Seins“ an. „Ich musste feststellen, dass ich bis dahin selbst auch kein großer Kommunikator war“, sagt der Geschäftsführer. „Und auch, dass wenn jemand nichts sagt, es nicht heißt: ‚Interessiert mich alles nicht.‘“ Das sei wie das Durchschlagen des gordischen Knotens gewesen, erinnert sich Ozan. „Die Gespräche mit den Mentoren und meinen Mitgründern haben die Teamstruktur extrem positiv beeinflusst.“

Parallel zu dieser inneren Entwicklung tat sich auch etwas nach außen Sichtbares. Auf der Bio-Lebensmittel-Messe BioFach erzählte Ozan einem Landwirt aus Österreich von seiner neuen Idee: Von importierter Kokosfaser für seine Anpflanztöpfe wolle er auf heimischen Hanf umstellen. Regionale Produktion, noch bessere Ökobilanz. Das leuchtete dem Landwirt, der selbst Hanf anbaut und verarbeitet, sofort ein. Jetzt produziert er den neuen Hanftopf und stieg dazu mit 590.000 Euro als Investor bei der Seed Evolution UG ein. Vor gut zwei Monaten wurde sie daher zur GmbH. „Das sieht etwas seriöser aus. Wir bemerken jedenfalls, dass man uns ernster nimmt“, sagt Ozan.

Auch für die Zukunft stehen die Zeichen für die Seed Evolution GmbH auf Wachstum. „Im Oktober wollen wir unseren neuen Hanftopf vorstellen“, sagt Ozan. Dazu habe man es geschafft, eine Biosupermarktkette von sich zu überzeugen: „Ende September werden wir in Filialen in Südbayern den Woody anbieten“, sagt Ozan. Sie verhandelten sogar gerade mit den ganz großen Supermarktketten. „Da darf ich aber noch nichts verraten.“ Überfordern will Ozan sich und seine heute acht festangestellten Kollegen aber nicht. Sie haben ihre Lektion gelernt. Ob in der Natur oder der Wirtschaft: Nur nachhaltiges Wachstum ist bleibendes Wachstum.

WIR HABEN ZUR VERLEIHUNG DES PREISES POTENZIELLE KUNDEN EINGELADEN – DAS WAR SCHON FÜR ALLE EIN GROSSES DING

Dass man als Unternehmen langsam aber stetig am besten wächst, wissen Liang Wu, Peter Sänger, Victor Splittgerber und Dénes Honus nur zu genau. Die vier Gründer des Dresdner Startups Green City Solutions haben vor 13 Jahren angefangen. Für Startups eine nahezu biblisch lange Vorlaufzeit, die es laut Liang, der eigentlich Zhengliang heißt, aber gebraucht hat. „Wir haben uns im Sommer 2003 erstmals zusammengesetzt, die ersten Businesspläne entworfen und die ersten Förderanträge gestellt, damit wir alle genug Zeit und Muße hatten, uns um das Projekt zu kümmern und dabei nicht von der Hand in den Mund leben mussten.“ Erst 2014 gründeten sie die GmbH. Spontan ist was anderes.

Ihr Produkt ist aber auch etwas anderes. Der CityTree ist eine knapp drei Meter breite und vier Meter hohe mit Moos bepflanzte Wand – eine Mischung aus Designobjekt, Hightech, Garten und Sitzbank. Rund 1600 Einzelpflanzen finden in der Vertikalen Platz und verbessern vor allem die Luft. „Ein CityTree filtert so viel Feinstaub aus der Luft wie 275 Bäume“, sagt Liang.

Die Moose haben unzählige kleinste Verzweigungen und nehmen die Feinstaubpartikel in ihrem Stoffwechsel auf. „Die sind dann in den Pflanzen“, sagt Liang. Grüne Lunge halt. Einmal aufgestellt, ist der CityTree autark, dank Solaranlage und automatischer Bewässerung, die sich aus Regenwasser speist. Falls das doch mal knapp werden sollte, schlägt ein Sensor Alarm, dann wird der Regenwassertank nachgefüllt, der auch Dünger enthält.

So ein Produkt entwickelt niemand über Nacht. „Besonders wichtig war die erste Seed-Förderung des Projekts“, sagt Liang. „Geld um die Idee zu entwickeln, da war uns klar: das funktioniert.“ Auch die Kultur- und Kreativpiloten-Auszeichnung war ein wichtiger Baustein auf ihrem Weg. „Wir haben zur Verleihung des Preises potenzielle Kunden eingeladen – das war schon für alle ein großes Ding“, sagt Liang. „Die mediale Wirkung und der Marketing-Effekt des Preises waren für uns sehr wertvoll.“

WIR SIND AUCH NOCH MIT ANDEREN STÄDTEN WELTWEIT FÜR PILOTPROJEKTE IM GESPRÄCH

Genauso wertvoll sei auch das Kreativpiloten-Netzwerk gewesen, sagt Mitgründer Dénes Honus. „Da sind neue Ansätze entstanden, wie man unsere CityTrees vertreiben und präsentieren kann.“ Wertvoller Input für die Phase, in der die Jungs von Green City Solutions jetzt stecken: „Wir sind gerade nach Berlin gezogen, haben uns teammäßig nochmal vergrößert und sitzen aktuell im Accelerator-Programm Mindbox der Deutschen Bahn“, sagt Liang. Eine große Chance: CityTrees an jedem Bahnhof in Deutschland wäre ein Top-Geschäft für die Gründer. Ab Oktober will das Unternehmen dann in Berlin bleiben und in ein eigenes Büro umziehen. Auch wegen der flexibleren Reisemöglichkeiten als von Dresden aus.

Das scheint auch nötig zu sein: Nach Projekten in Dresden, Oslo und Paris konnten die Neu-Berliner gerade den ersten CityTree in Hongkong aufstellen. „Wir sind für dieses Jahr auch noch mit anderen Städten weltweit für Pilotprojekte im Gespräch – das ist aber noch nicht spruchreif“, sagt Liang. Dazu komme noch eine weitere Investitionsrunde. Es sieht alles danach aus, als würde der CityTree künftig fest zum Stadtbild gehören. Und sehr wahrscheinlich stand das auch im Plan der vier Gründer.

WIR BRINGEN DIE LEUTE NICHT NUR IN JOBS, SONDERN AUCH IN KONTAKT MITEINANDER – UND DAS IST MINDESTENS EBENSO WICHTIG.

Ganz so lang wie die Dresdner haben Constanze Klotz und Hanna Charlotte Ehrhorn nicht gebraucht, bis ihr Startup Bridge&Tunnel Produkte an den Markt bringen konnte – aber einfach war ihr Weg auch nicht. Sie lassen Textil-Unikate aus ausrangierten Jeanshosen schneidern – von zuvor arbeitslosen Frauen aus dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg.

„Die Idee dazu kam gewissermaßen zu uns“, sagt Kulturwissenschaftlerin Constanze, die seit 2013 zusammen mit der Textildesignerin Hanna in Wilhelmsburg das Stoffdeck leitet, einen gemeinnützigen Coworking-Space für Textildesigner. Dorthin hatten sie einen deutsch-türkischen Nähclub eingeladen, der sich bis dahin immer in einer Moschee getroffen hatte. „Die haben da alle ihre Nähmaschinen hingetragen. Da haben wir dann gesagt, das ist doch viel zu kompliziert – kommt doch zu uns und näht dort.“ Und dann konnten Hanna, Constanze und die anderen professionellen Designer gar nicht glauben, was sie sahen. Die Frauen konnten an der Nähmaschine fast schon zaubern, hatten aber in Deutschland noch nie einen Job gehabt. „Finde den Fehler“, sagt Constanze. „Wir dachten sofort, das muss doch irgendwie zusammengehen.“

„Wir haben dann einfach das eine mit dem anderen vernäht“, sagt Hanna. „Wir bringen die Leute nicht nur in Jobs, sondern auch in Kontakt miteinander – und das ist mindestens ebenso wichtig.“ Die Frauen lernten schnell Deutsch und erführen eine ganz andere Wertschätzung.

UNS HAT BEI DEN KREATIVPILOTEN VOR ALLEM DAS FORMAT DER KOLLEGIALEN BERATUNG WEITERGEBRACHT.

Dass Bridge&Tunnel dazu noch in die trendige Upcycling-Schublade passt, brachte den Gründerinnen von Beginn an unzählige Preise ein – und ein fast schon unheimliches Medieninteresse, während das Unternehmen noch unzählige Baustellen hatte von der Finanzierung über die Sicherstellung von Qualität und Materialfluss bis zu den behördlichen Untiefen des Personalwesens.

„Wir hatten enorm viel Berichterstattung, aber noch kein Produkt am Start“, sagt Constanze. „Hier hat uns vor allem das Format der kollegialen Beratung bei den Kreativpiloten weitergebracht.“ Überhaupt sei in dem Kreativpilotenjahr der Austausch unter den Titelträgern sehr gewinnbringend gewesen, sagen Constanze und Hanna. „Trotz der unterschiedlichen Themen dachten viele über ähnliche Dinge nach, wie zum Beispiel Preisbildung oder eben Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt kaum ein Projekt, bei dem man keine Überschneidung findet, über die man sich austauschen kann.“

Seit Juni ist ihr Online-Shop nun in Betrieb. „Der läuft langsam, aber gut an“, sagt Constanze. Und es kommen schon wieder neue Ideen dazu: „Wir bieten jetzt auch eine Laptoptasche aus gefüttertem Jeansstoff an, die Unternehmen mit ihrem Logo branden lassen können, davon haben wir schon mehr als hundert gefertigt. Das könnte sehr interessant für uns werden.“

WIR ERLAUBEN UNS HEUTE, GRÖSSER ZU DENKEN UND DEN ERFOLG AUCH ALS SOLCHEN ZU SEHEN

Auch das Startup ehrensache D/V GmbH betreibt mit seinem Label Bag To Life Upcycling – aber mit unbenutzten Hightech-Materialien. Die Designerin Kerstin Rank war schon immer beseelt von der Idee, eine eigene Produktlinie zu entwerfen. Auf einem Flug nach London, gerade als das Flugpersonal das traditionelle Sicherheitsballett vorführte, stach ihr die gelbe Weste ins Auge. „Ich habe mich sofort gefragt, was die Fluggesellschaften mit den Rettungswesten machen, die alle paar Jahre ausgetauscht werden müssen“, sagt Kerstin. Und dann hat sie auch die Fluglinien gefragt. Und zwar so lange und so hartnäckig, bis sie einige der gelben Retter zu einer Taschen-Kollektion verarbeiten konnte. Fünf Jahre ist das nun her.

Heute ist Bag To Life Flaggschiff der vor einem Jahr gegründeten ehrensache D/V GmbH und gibt rund 5000 Rettungswesten pro Jahr eine neue Bestimmung. Etwa als Laptoptasche, Smartphone-Schutzhülle, Sporttasche oder Fahrradtasche. Dazu kommen Accessoires, wie Schlüssel- und Kofferanhänger oder Portemonnaies und Ansteckbuttons. Mit an Bord bei der Gründung war Thomas Gardeia. Seit 2012 kennen sich Kerstin und Thomas, der vorher im Vertrieb von größeren Verlagen gearbeitet hatte. „Thomas kam wie gerufen“, sagt Kerstin. „Wegen der Designarbeiten blieb mir wenig Zeit für den Vertrieb.“ Nach einer eingehenden Analyse beschlossen die beiden dann 2015, die ehrensache D/V GmbH zu gründen.

ALLE PILOTEN HABEN MIT GANZ TOLLEN IDEEN ÜBERZEUGT, ABER WENN ES UMS VERMEINTLICH LANGWEILIGE VERTRIEBSCONTROLLING GEHT, HÖRT ES BEI VIELEN SCHNELL AUF

„Wir sahen ganz klar noch mehr Potenzial“, sagt Thomas. Zwar sei der Upcycling-Markt fast schon übersättigt, aber niemand verwende vollkommen ungebrauchte Materialien. „Dazu kommt eine klar adressierbare Zielgruppe: Die Flugbranche.“ Mit der Gründung der GmbH wollten die beiden auch nach außen ein Signal geben: Wir meinen das ernst und haben noch viel vor. Worin sie die Screenings mit den Kreativpiloten-Mentoren bestärkt hätten: „Nach dem Jahr bei den Kreativpiloten sind wir uns unserer Stärken bewusster als vorher. Wir erlauben uns heute, größer zu denken und den Erfolg, den wir bisher eingefahren haben, auch als solchen zu sehen“, sagt Thomas. Im Gegenzug konnten sie den Pilotenkollegen etwas von ihrer Expertise abgeben.

„Alle Piloten haben mit ganz tollen Ideen überzeugt, aber wenn es ums vermeintlich langweilige Vertriebscontrolling geht, hört es bei vielen schnell auf“, sagt Thomas. „Unsere Message war: Ihr seid tolle kreative Unternehmen, aber steckt die Kreativität auch da rein, sonst bringen euch die Ideen leider nichts.“ Daran müssten sich die beiden Gründer aus Bayreuth auch immer wieder selbst messen. „Ab kommendem Frühjahr wollen wir eine neue Kollektion auf den Markt bringen, die mit einem neuen Upcycling-Material daherkommt“, sagt der 37-Jährige. Ein Wachstumsschritt, der nur aus dem eigenen Cash-Flow finanziert werden soll: „Nachhaltig eben.“