#BEWEGUNG
#BEWEGUNG

Da ist diese Idee, und sie ist grandios! Darum sollte man sie auf keinen Fall in Stein meißeln, sondern lieber in Knetmasse drücken. Damit man immer wieder daran herumformen kann und sie unterwegs neue Gestalt annehmen darf.

#BEWEGUNG

Da ist diese Idee, und sie ist grandios! Darum sollte man sie auf keinen Fall in Stein meißeln, sondern lieber in Knetmasse drücken. Damit man immer wieder daran herumformen kann und sie unterwegs neue Gestalt annehmen darf.

#BEWEGUNG

anchmal ist das Startup-Leben wie ein Tanz: Wer immer nur exakt so zappelt, wie es in der Choreografie steht, langweilt sich ziemlich schnell. Gut, dass die Menschen von Nagual Sounds unterwegs ein paar Ausfallschritte zur Seite gemacht haben. Passt schließlich auch zu ihrem Produkt: Das Startup aus der Uckermark kann Bewegungen live in Musik verwandeln – je ausholender der Körperschwung, desto abwechslungsreicher die Komposition. Dazu wird der tanzende Körper von einer 3D-Kamera gefilmt, die gewonnen Daten werden von der Nagual-Software in Musik übersetzt.

Das klingt kompliziert, doch man kann sich das Ganze wie ein begehbares Lied vorstellen – „wir nennen es ,interaktiven Song’“, sagt Matthias Strobel, der Nagual-Marketingmann: Melodie, Bässe, Drums, alle Elemente eines Liedes, liegen an bestimmten Stellen im ertanzbaren Raum um einen herum – man muss sie nur durch die richtigen Bewegungen finden und aktivieren. Anfang 2016 sollen Xbox-Besitzer diese Tanz-Technologie in einem Spiel ausprobieren können, das Nagual Sounds gerade entwickelt: Die Bässe liegen irgendwo im Kniekehlenbereich, für die Melodie schwingt man das Bein, die Schlagzeugelemente werden durch Armschütteln aktiviert. Und plötzlich, wenn man mit dem rechten Arm zufällig etwas höher schwingt, entdeckt man dort eine Drumroll – katsching!

Und die metaphorischen Seitausfallschritte? Sie lernte das Team bei einem misslungenen Crowdfundingversuch. Eigentlich sollte „Nagual Dance“, so der Name des Spiels, ein PC-Spiel werden. Denn die Xbox-Kamera namens Kinect kann man auch einzeln kaufen in einer Version, die mit Windows-Rechnern arbeitet. Macht nur leider kein Spieler, wie das Nagual-Team feststellen musste: „Kinect für Windows wird vor allem von der Industrie genutzt – und von Ärzten im Operationssaal.“ Im Unterhaltungsbereich allerdings gebe es keine weiteren Anwendungen, sodass die Crowdfunder die Kinect-Kamera nur für „Nagual Dance“ hätten nutzen können. „Wir merkten: Es gibt keinen Spiele-Markt in Kombination mit dieser Kamera.“

Ausfallschritt 1: Das Fünf-Mann-Team steuerte um und entwickelt „Nagual Dance“ jetzt zusammen mit einem Gamesstudio als Xbox-Spiel. Klingt einfacher, als es war: Sieben Monate Netzwerken, Diplomatie und Strategieschläue brauchte es, um von Microsoft den dazu benötigten Developer-Zugang zu bekommen.

Ausfallschritt 2: Nebenbei fasst Nagual Fuß im Gesundheitssektor. „Wir arbeiten mit einem Berliner Mediziner zusammen, der uns in einer Anwendungsstudie als Instrument in der Bewegungstherapie nutzt.“ Weil Menschen sich bei ihren Reha-Übungen viel lieber zu Musik bewegen, als bei dröger Gymnastik minutenlang fade dieselbe Armbewegung zu üben. „Schmerzpunkte können sich verschieben, wenn man ganz im Tanzen versinkt“, sagt Strobel: „Das haben wir selbst im Team gemerkt, als wir zu Beginn unserer Entwicklungsphase dauernd tanzen mussten, damit wir die Sounds einstellen konnten. Wir haben oft total vergessen, zwischendurch etwas zu trinken, weil wir so gefangen waren.“ Mitte 2016 erwartet das Team erste Ergebnisse aus der medizinischen Studie, ein paar Monate später will Nagual nach der Spielbrache auch den Gesundheitsmarkt mit einer eigenen Tanz-Anwendung bedienen.

Produktideen hat Nagual Sounds genug. Die Workshops mit den Kreativpiloten gaben dem Startup außerdem neue Ideen dafür, wie auch den operativen Herausforderungen beizukommen ist. „Wir Preisträger sind zwar sehr unterschiedlich, müssen aber mit denselben Problemen hustlen“, sagt Matthias: „Wie stellt man sich bei der Investorensuche am besten an, wie organisiert man interne Strukturen? Der Austausch mit den anderen hat uns dabei sehr geholfen, ich fand ihn sehr befruchtend.“

Geld verdienen die Nagual-Macher derzeit, indem sie ihre Musik-Ertanzungsstationen für Events vermieten – auch diese Pirouette war von außen inspiriert. Eigentlich wollte das Team seine Entwicklung nur als Kunstinstallation in Museen zeigen, doch dann meldeten sich die ersten Eventagenturen. Inzwischen gibt es ein Team von professionellen Tänzern, die man gleich mitmieten kann.

Der Vermietungsservice bringt nicht nur Einnahmen, sondern auch wertvolles Feedback – ein gutes Ideen-Hamsterpolster für die Zeit nach dem Spielelaunch. Umso mehr, weil Nagual Sounds ursprünglich keine Geschäftsidee, sondern ein Spaßprojekt war: Mark Moebius, ein klassischer Komponist, war seit einem Besuch im Schlaflabor fasziniert von der Idee, Hirnstromdaten sichtbar zu machen. Artur Reimer, Technoproduzent und Dozent für elektronische Musik, hatte nachts auf der Clubtanzfläche öfter das Gefühl, die Musik durch seine Bewegungen steuern zu können. Als sich beide kennenlernten und gemeinsam Musik machten, fanden sie diesen kreativen Prozess viel schöner, als die fertigen Stücke, und dachten öfter darüber nach, wie man mehr Menschen an dieser Erfahrung teilhaben lassen könnte. Als sie schließlich von der Kinect-Kamera hörten, die Bewegungen sichtbar machen kann, kombinierten sie sämtliche Ideen zur Urform von Nagual Sounds.

„Ganz wörtlich übersetzt bedeutet Nagual ,das innere Tier in einem rausholen’“, sagt Matthias Strobel. „Damit niemand von dieser Erfahrung ausgeschlossen ist, experimentieren wir schon damit, Gehirndatenströme in Musik umzuwandeln.“ Damit paralysierte Menschen, die sich ihre Musik nicht selbst ertanzen können, sie dann eben einfach erdenken. Und noch eine weitere Inkarnation ist in Vorbereitung: Kommerziellen Musikern könnte die Software ein neues Marketingtool für ihre Songs liefern. Als Bonustrack könnten sie eine interaktive Nagual-Version ihrer Single anbieten, in der sich der Fan das Lied selbst ertanzt – oder einen ganz eigenen, experimentellen Remix. Wer braucht schon Choreografien?

WIR HABEN UNSERE KUNDEN BESTIMMEN LASSEN, IN WELCHE RICHTUNG SICH BRABBL ZUERST ENTWICKELTE

Manchmal wünscht man sich eine Website, mit der sich jede hitzbackige Küchentischdiskussion befrieden lässt. Kein simples Lexikon, sondern eine Argumente-Sammlung, die zu jeder Frage sämtliche Pro- und Contra-Punkte so sorgfältig auflistet und gegenüberstellt, dass die informierte Meinungsfindung ein benutzerfreundliches Vergnügen wäre.

Seit Jahren hing Oliver Brzoska diesem Gedankenspiel nach und kam immer wieder darauf zu sprechen. Bis ihn sein Bandkollege unterbrach. „Er meinte: Meine Kumpel entwickeln gerade genau das“, sagt Brzoska.

So stieß der studierte Philosoph zu Brabbl, einem Kreativnetzwerk aus Menschen verschiedener Disziplinen, die ihre Idee von einem Online-Argumente-Sortiersystem in die Tat umsetzen wollten. Sie gründeten eine Genossenschaft und sammelten Geld über eine Crowdinvestment-Kampagne, um die Entwicklung zu finanzieren.

Brabbl will Ordnung in ausufernde Online-Diskussionen bringen. Das klingt wie ein Punkt auf Herkules’ To-do-Liste, und tatsächlich gibt es sehr viele Anwendungsgebiete, in denen ein solches Werkzeug das diskursive Miteinander verbessern könnte: Als zivilisierter Kommentarersatz unter Artikeln von Online-Medien, wo endlich nicht mehr nur stumpf Meinung auf Meinung gestapelt würde wie ein Berg aus platten Pfannkuchen – stattdessen würden die einzelnen Argumente in Für und Wider sortiert und übersichtlich dargestellt. Oder bei Bürgerbeteiligungs-Prozessen. Oder zur internen Entscheidungsfindung bei Unternehmen. Und so weiter, und so fort.

„Eigentlich hatten wir vor, einfach alles zu machen“, sagt Produktentwickler Carsten Cielobatzki. „Allerdings wäre das technisch furchtbar komplex.“ So ist das eben, wenn eine Idee von vielen Köpfen mit unterschiedlichen Denkrichtungen über einen längeren Zeitraum immer wieder diskutiert wird: Sie wird dicht und schillernd, aber franst an den Rändern auch leicht etwas aus.

Zum Glück übernahm der Markt die Führung: „Wir haben vor allem unsere Kunden bestimmen lassen, in welche Richtung sich Brabbl zuerst entwickelte“, sagt Carsten. Die frühen Aufträge kamen fast alle aus dem öffentlichen Bereich, klassische Partizipationsprojekte, etwa von der Deutschen Umweltstiftung oder dem österreichischen Familienministerium.

Das Feedback der Kreativpiloten-Mentoren bestärkte die Brabbl-Mannschaft darin, dass „eigentlich alles“ ein etwas weites Betätigungsfeld ist: „Als wir beim ersten Coaching unser Produkt vorstellten, bekamen wir zu hören: Wir haben nach fünf Minuten immer noch nicht verstanden, was Ihr eigentlich macht. Wollt Ihr nun die Diskussionskultur im Internet verbessern, Bürgerbeteiligung vereinfachen oder Unternehmensdemokratie stärken? Oder seid Ihr doch einfach ein Nachschlagewerk für philosophische Themen?“, sagt Oliver. „Also beschlossen wir, unser Angebot so auf den Punkt zu bringen: Wir machen Bürgerbeteiligung, die Spaß macht. Zumindest aktuell ist das unser Fokus.“

Wobei das nicht heiße, dass sie zukünftig alle anderen Aspekte gänzlich beiseite lassen möchten. Zumal auch schon Unternehmen angefragt hätten, die ihre internen Abstimmungen gerne brabbelisieren lassen würden – allerdings nicht ganz demokratisch. „Wir bekamen die Anfrage, ob wir es voreingestellt einrichten könnten, dass zum Beispiel die Stimmen von Abteilungsleitern mehr zählen als die der anderen Angestellten”, sagt Oliver. „Da mussten wir dann erst einmal nachdenken, ob wir das mit unseren Grundsätzen vereinbaren können.“ Es kam schließlich doch nicht zu einer Zusammenarbeit, obwohl das Brabbl-Team den Ansatz nicht ganz ablehnen würde: „Wenn etwa die Meinung des Chefs ein Drittel aller Stimmen zählt, könnten ihn die restlichen 70 Prozent immer noch überstimmen, wenn sie sich einig sind – nur transparent muss diese Gewichtung sein.“

Und ganz transparent gibt es auch auf dem Brabbl-Portal einen öffentlichen Diskussionsstrang dazu, welche Verbesserungen sich die Benutzer wünschen. Der Sammelthread ist gleichzeitig ein Beispiel für eine Funktion, die dem Team erst später einfiel: Statt für klassische Entweder-Oder-Entscheidungen kann Brabbl auch genutzt werden, um nur ein Meinungsbild zu erstellen – eine Ideensammlung ganz ohne Abstimmung.

Momentan knobeln die Brabbl-Entwickler noch daran, wie sich die Komplexität von Offline-Diskussionen online nachempfinden lässt, ohne sich in zu vielen Verschachtelungen und Nebenkriegsschauplätzen zu verlieren. „Jedes Argument kann ja selbst eine neue Diskussion auslösen“, sagt Oliver. „Brabbl macht nur Sinn, wenn es diesen Verzweigungen auch entsprechen kann.“

Und es gibt immer wieder neue Anfragen, die neue Brabbl-Verwendungsmöglichkeiten aufzeigen. Etwa als Live-Argumentationsprotokoll bei Konferenzen oder Podiumsdiskussion – skalierbar bis hoch zum Fernseh-Kanzlerduell. Intern haben sie dieses Live-Brabbl-Protokoll schon ausprobiert, bei Teammeetings oder der Generalversammlung, damit alle 250 Gesellschafter die Diskussionen online verfolgen können. Zum Beispiel darüber, ob Brabbl abseits von Anwendungen für Unternehmen und Organisationen auch ein unabhängiges Produkt werden könnte, ähnlich wie die Terminabsprachen-Anwendung Doodle. Dann könnte man auch das Ausflugsziel für nächste Wochenende über Brabble bestimmen. „Das könnten wir brabbeln“, heißt das intern längst.

BEI DER KOLLEGIALEN BERATUNG WURDE UNS KLAR, DASS WIR DEN PERSÖNLICHEN ASPEKT NOCH VIEL MEHR STÄRKEN KÖNNEN.

Manchmal, Pardon, stimmt der Markt mit dem Hintern ab. Wie bei dem Hocker des holländischen Designers Emile van Hoogdalem. Das Möbel sei schön, aber ein bisschen zu schmal, um bequem darauf zu sitzen, schrieben Kunden an Julia Depis und Judith Trifonoff. Die Gründerinnen der Shoppingplattform Newniq schickten das Feedback in van Hoogdalems Werkstatt am Bodensee, und sein Hocker ist nun ein kleines Stückchen breiter.

Kleine Entwicklungs-Feinheiten. Die Entscheidungsgewalt der Kunden geht bei Newniq viel weiter: Sie entscheiden, ob aus Ideen überhaupt erst reale Waren werden. Auf der Plattform stellen Designer ihre Entwürfe vor und kann so testen, wie gut der Markt auf seine Ketten, Sessel, Vasen oder Hundemotivteller reagiert. Erst, wenn sich genug Kauf-Interessenten finden, startet die Produktion.

Crowdbuying nennen das die Newniq-Gründerinnen, die ihr Startup vor zwei Jahren gründeten, weil sie selbst unsicher waren, was „der Markt“, dieses sprunghafte, unstete Wesen, denn nun genau von ihnen wollte. Julia, selbst Designerin, wollte damals Pullis mit tagesaktuellem Börsenkurs stricken lassen – das finanzielle Wohl und Weh eines Unternehmens als apartes Zickzackmuster. „Aber ich konnte doch nicht einfach mal so 100 Stück davon produzieren lassen und dann kauft die mir am Ende keiner ab.“ Sie besprach das Problem mit ihrer Freundin Judith, der Betriebswirtschaftlerin.

Die beiden kennen sich seit dem Kindergarten, „schon auf dem Schulweihnachtsmarkt waren wir zusammen unternehmerisch tätig“, erinnert sich Judith: „Wir haben Bremer verkauft – und weil wir nicht wussten, ob das reicht, vorsichtshalber auch noch Weihnachtspostkarten.“

Eine Logik dahinter, welches Produkt es schafft und welche Designidee vorläufig Idee bleiben muss, haben sie noch nicht ausgemacht: „Dazu sind wir noch zu klein“, sagt Judith, anders als bei Verkaufsdickschiffen wie Amazon oder Zalando taugen ihre Stückzahlen noch nicht für Statistiken. Aber sie konnten beweisen, dass es die Zielgruppe, die sie sich am Anfang nur vorstellen konnten, wirklich gibt. „Menschen, die sagen: Ich kaufe mir jetzt VIELLEICHT eine Vase, warte 30 Tage ab, ob sie überhaupt produziert wird, und warte dann nochmal zwei Wochen, bis sie fertig ist.“

Manchmal schicken glückliche Kunden ihnen anschließend ein Foto vom gekauften Stück in der Wohnung – als sei es ein gerettetes Hündchen im neuen Zuhause. Ihre Nischenkäufer haben eine emotionalere Verbindung zu ihren Dingen, und Judith und Julia verstärken diesen Effekt, indem sie in ihrem Startup-Blog die Geschichten hinter den Produkten erzählen. Und zum Beispiel erklären, warum einer ihrer Bestseller, ein zapfenförmiger, gedrechselter Zettelhalter, im Winter zeitweilig nicht produziert werden konnte: Das Robinienholz, aus dem der Halter gefertigt wird, war an seiner Lagerstätte im Siegerländer Wald festgefroren.

Dass ihre Kunden solche Geschichten mögen und auch mehr über die beiden Kuratorinnen erfahren möchten, das haben Julia und Judith auch in den Kreativpiloten-Workshops gelernt. „Für uns war es ganz normal, dass wir eben eine kuratierte Plattform sind“, sagt Julia Depis. „Erst bei der kollegialen Beratung wurde uns klar, dass wir diesen persönlichen Aspekt noch viel mehr stärken können.“ Und vielleicht auch ab und zu externe Kuratoren einladen, Designblogger zum Beispiel, die für eine bestimmte Zeit das vorgeschlagene Sortiment bestimmen. Und vielleicht schaffen irgendwann auch noch Julias Börsenpullis den Hüpfer von der Idee zum Produkt.

WIR BRECHEN AUF, UM NEULAND ZU ENTDECKEN UND MACHEN ALLE SACHEN, DIE VORHER NOCH NIEMAND GEMACHT HAT.

Manchmal entwickeln Ideen ein Eigenleben, mit dem man nie gerechnet hätte. Sandro Engel und Amelie Künzler jedenfalls hätten nie damit gerechnet, dass ihnen etwas gelingen würde, woran Generationen von Eltern und Verkehrspädagogen gescheitert sind: Sie haben die Bei-Rot-Gänger zur Räson gebracht. Jedenfalls einen Großteil von ihnen, jedenfalls an einen Ampel in Hildesheim: Seit dort ihr Ampelspiel ActiWait installiert ist, traben im Tagesdurchschnitt nur noch 11 Menschen bei Rot über die Straße. „Vorher waren es durchschnittlich 60 Personen“, sagt Sandro.

Ihre subtile Verkehrserziehung funktioniert so: Der ActiWait hält ungezogene Fußgänger bei Rot von der Straße fern, weil sie derweil mit ihrem Gegenüber auf der anderen Straßenseite ein kleines Computerspiel zocken können – über den Ampel-Taster, der dafür mit einem kleinen Bildschirm ausgerüstet wurde. Für eine schnelle Partie Pong reicht die Zeit bis zur nächsten Grünphase allemal. Dass ihre Idee nun tatsächlich an einer Ampel in Hildesheim und seit kurzem auch in Oberhausen getestet wird, amüsiert die beiden Designer immer noch ein wenig, die unter dem Firmennamen Urban Inventions auftreten.

An ihre neue Rolle als Unternehmer hat das Designer-Duo inzwischen gewöhnt, auch dank des Feedbacks der anderen Kreativpiloten-Teams „Wir haben uns gleich gut aufgehoben gefühlt“, sagt Sandro: „Auch wenn wir alle total unterschiedliche Sachen machen, stehen wir doch alle gerade am selben Punkt: Wir brechen auf, um Neuland zu entdecken und machen alle Sachen, die vorher noch niemand gemacht hat. In dieser Blase der Ungewissheit war es toll, sich gegenseitig motivieren zu können.“

Eigentlich, sagt Sandro, sollte die Idee eine Idee bleiben, ein Uni-Projekt an der Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK). „Ein typischer Fall von ,Es wäre doch lustig, wenn’“, sagt er. Zur Visualisierung drehte er im Herbst 2012 ein kurzes Video, die Spielkonsolen auf den Ampel-Drückern retuschierte er im Filmmaterial einfach auf die ganz gewöhnlichen Taster.

Das Video wurde ein viraler Erfolg, mit millionenfachen Aufrufen. Nach den Klicks kamen die klassischen Medien, viele hatten nicht recht verstanden, dass die Spieleampel nur eine Simulation war und wollten mal eben schnell rumkommen, um einen Bericht zu drehen. „Sie sorgten für so viel Trubel, dass der Bürgermeister schließlich sagte: Das probieren wir mal aus“, sagt Sandro: „Mit einem normalen Antrag hätten wir das nie geschafft – der Riesenhype hat das möglich gemacht, das Volk ganz direkt, sozusagen.“

Nachdem der Markt also lautstark danach quengelte, die Ampelspielidee wahr werden zu lassen, wurde es ernst für Urban Inventions. Sandro und Amelie sprachen mit Signalbaufirmen, Ampeltasterherstellern und Screenproduzenten, die ihre Produkte aufeinander abstimmen mussten, um Platz und Fläche für das Videospielmodul zu schaffen. Tasterschalen aus dem 3-D-Drucker halfen schließlich weiter.

Vor der Umsetzung der topmodernen Idee betrieb Urban Inventions Old-School-Marktforschung: Studenten mit Klemmbrett und Fragebogen erkundeten: War das Fußgängeraufkommen groß genug? Wie viele Rotläufer gibt es im Schnitt? Während der Testphase beobachteten sie die Ampelanlage dann sechs Stunden täglich, zählten weiter und führten Interviews.

Das Ergebnis: 87 Prozent der Ampelspieler hatten hinterher das Gefühl, eine echte Kontakt-Erfahrung mit einem fremden Menschen erlebt zu haben – die Grundidee hinter dem ActiWait.

„93 Prozent der Benutzer gefiel die Idee und würde sie gerne an weiteren Ampeln sehen“, sagt Sandro . „Ein paar wünschten sich die Möglichkeit, auch gegen einen Computergegner spielen zu können, wenn gegenüber gerade kein Spielpartner wartet. Das werden wir jetzt einbauen.“ Auch die Sicherheitsprüfung hatte kaum etwas zu bemängeln, lediglich die Anregung, das Spiel etwas früher, schon ein paar Sekunden vor dem Beginn der Grünphase enden zu lassen, damit sich die Fußgänger kurz orientieren können.

Bevor das Verkehrsspielzeug in Serienproduktion gehen kann, sind noch einige Investitionen nötig, sagt Sandro Engel. „Wir versuchen gerade, Letters of Interest von verschiedenen Städten einzusammeln – Absichtserklärungen also, dass sie die Anlagen installieren würden, damit der Hersteller der Taster sieht, dass es einen messbaren Markt gibt.“ Selbst wollen Urban Invention mit der eigentlichen Produktion dann nichts mehr zu tun haben: „Wir sind Designer und keine Tasterhersteller. Und konzentrieren uns darum lieber auf die Apps, die außer Pong sonst noch auf dem ActiWait laufen könnten: Interaktive Verkehrserziehung, Werbung, Navigationshilfen, alles ist möglich“, sagt er. „Oder warum nicht eine Speeddating-App? Schon der kurze Kontakt beim Pong-Spielen hat viele Benutzer mit einem Lächeln an der Ampel stehen lassen.“