Phygital Ideas
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Die Grenzen zwischen der analogen und der virtuellen Welt verschwimmen immer mehr. Diese Kultur- und Kreativpilot*innen agieren an der Schnittstelle — die einen sorgen dafür, Interfaces in ihrer Komplexität zu reduzieren, die anderen machen in einer immer digitaler werdenden Welt Botschaften greifbar.

Phygital Ideas: Gründer, die Brücken zwischen analoger und digitaler Welt bauen

Die Grenzen zwischen der analogen und der virtuellen Welt verschwimmen immer mehr. Diese Kultur- und Kreativpilot*innen agieren an der Schnittstelle — die einen sorgen dafür, Interfaces in ihrer Komplexität zu reduzieren, die anderen machen in einer immer digitaler werdenden Welt Botschaften greifbar.

Phygital Ideas: Gründer, die Brücken zwischen analoger und digitaler Welt bauen

Die Technologien, die wir täglich nutzen, entwickeln sich in einem rasanten Tempo — und somit auch die Art und Weise, wie wir Informationen in unsere Computer und Smartphones eingeben, beziehungsweise, wie wir mit ihnen kommunizieren. Waren es anfänglich Tastaturen, machte später die Maus die Eingabe enorm viel komfortabler und eröffnete neue Möglichkeiten, auch in den Anwendungen: Betriebssysteme, wie das von Apple oder Windows, hätte es ohne sie nie geben können. Heute eröffnen Touchscreens und Spracheingabe weitere Horizonte.

Interfaces sind das Bindeglied zwischen Mensch und Maschine, zwischen der realen und der digitalen Welt. Bei Musik-Software sind das oft 1:1-Nachbildungen analoger Geräte: Regler, Schieber, Klaviertasten. Daran ist auf den ersten Blick nichts verkehrt, der Nachteil jedoch ist, dass zum Bedienen dieser Elemente Vorkenntnisse nötig sind, was am Beispiel der Klaviertasten am deutlichsten wird. Für Nicht-Musiker*innen sind Anwendungen dieser Art nicht geeignet.

Hier setzen Jakob Gruhl und Stephan Kloss, die Gründer von Ectoplastic an. Ihre Apps zum Machen von elektronischer Musik sind intuitiver. Soniface zum Beispiel kann mit einem modularen System verglichen werden. „Ich persönlich kann mit Soniface komplexer agieren als mit vergleichbaren Anwendungen und mit dem Interface bin ich schneller als mit der Maus, zumindest wenn ich geübt bin“, sagt Gruhl.

Während Soniface noch eher eine Anwendung für Profis ist, wendet sich Mutant auch an Laien. Die App verlässt sich voll auf die intuitive Eingabe von Musik. „Mutant unterscheidet sich von anderen Anwendungen vor allem durch die visuelle Komponente. Drehregler, Knöpfe, Klaviatur, das alles gibt es nicht.“ Mit sogenannten Hypercubes werden per Touchscreen Sounds gesteuert. „Mit Mutant bekommen auch die Menschen Lust auf Musik machen, die vorher noch keine Berührung mit solcher Software hatten.“

Vor allem eignet sich Mutant auch für Kollaborationen: „Man kann sich über W-LAN verbinden, zusammen an einem Track arbeiten und ihn zusätzlich aus verschiedenen Perspektiven hören. Der eine kann ihn auf 120 BPM, also Techno-Geschwindigkeit hören, die andere will vielleicht eher einen Hip-Hop-Beat. Beide arbeiten aber trotzdem noch am gleichen Musikstück. Das ist, als arbeite man an einem Google Doc, der eine liest es in der Schriftgröße 14, die andere in 6, aber die Wörter sind trotzdem die gleichen.“

Bei Instrument of Things gibt es noch nicht einmal einen Touchscreen, hier kommt der Körper zum Einsatz. Hinter diesem Startup stecken die Gründer Henrik Langer, David Knop und Niko Schönig. „Es gibt so viele Technologien, wie all die Fitnessarmbänder mit Bewegungssensoren oder einfach nur unsere Smartphones. Diese ganzen Sensordaten sind vorhanden, wurden aber überhaupt nicht im Musikbereich verwendet. Für uns lag es auf der Hand, diese Daten zu verwenden, um mit Musik zu interagieren. Es stehen einem nicht nur zwei Hände, sondern auch die Füße zur Verfügung. Der ganz Körper wird zum Instrument, und das auf eine sehr intuitive Art und Weise. Auch ohne Vorkenntnisse kann Musik gemacht werden“, sagt Langer.

Das 2.4SINK Kit war noch für Profis gedacht. Es handelt sich um drahtlose Bewegungssensoren für Hände und Füße, die als Impulsgeber für Synthesizer dienen. Bewegungen werden in Sound umgewandelt. Hier muss man aber zumindest noch wissen, wie der Synthesizer zu bedienen ist. „Wir haben aber dann gesehen, dass die Musiker*innen das System oft gar nicht selbst benutzen, sondern eher für Kollaborationen mit Performancekünstler*innen nutzen. Die Musiker*innen stehen am Synthesizer, die Künstler*innen können mit ihren Bewegungen auf die Musik Einfluss nehmen.“

Das nächste Produkt SOMI-1, das im Herbst 2021 mit einer Kickstarter-Kampagne gelauncht werden soll, kann auch von Musiklaien bedient werden. Es wird zwar auch mit bereits etablierter Musik-Software zu verwenden sein, aber mit der Smartphone-App, die verschiedene vorprogrammierte Klangkulissen wie beispielsweise „Techno“ oder „Natur“ zur Verfügung stellt, entsteht Musik einfach durch Bewegung. Wer ein Stück reproduzieren möchte, der muss die Choreografie wiederholen.

Musik ohne Vorkenntnisse machen zu können, eröffnet völlig neue Möglichkeitsräume. „Musik ist intuitiv und extrem emotional. Ob etwas harmonisch ist oder nicht, das muss keiner lernen. Wir sehen viel Potential bei musikalischer Früherziehung, bei Demenz oder für behinderte Menschen.“

„Wir sehen aber auch ganz neue Arten von Events, bei denen nicht mehr die Tänzer*innen zur Musik tanzen, sondern die Musik entsteht durch den Tanz. Dadurch wird jedes Event einmalig. Im nächsten Schritt wollen wir auch das Publikum einbinden. Jeder hat die nötigen Bewegungssensoren schon in den Smartphones. Die Daten werden dann ausgewertet, zum Beispiel, wie aktiv das Publikum ist. An einem bestimmten Punkt könnte dann zum Beispiel ein Stroboskop starten oder sich ein Sound verändern.“ Das Publikum wird von passiven Teilnehmer*innen zum aktiven Teil der Performance.

Das Interesse an den Produkten von Instrument of Things ist groß. Nicht nur renommierte Namen der elektronischen Musik wie Richard Devine oder Martin Gretschmann alias Acid Pauli arbeiten mit Tools des Startups, auch Background-Tänzer*innen von Lady Gaga oder ein Vocal Engineer von Beyoncé.

Aerosoap ist ein interdisziplinäres Kreativlabor, das Kommunikationsmittel an der Schnittstelle von Kunst, Design und Naturwissenschaft gestaltet und realisiert. Die Gründer Thomas Wirtz und Frédéric Wiegand sind Kommunikations-Designer und lernen sich schon während des Studiums kennen. Sie arbeiten immer wieder gemeinsam an Projekten und Anfang 2020 beschließen sie, dieser Zusammenarbeit eine Form zu geben und gründen Aerosoap.

Ihr Anliegen: Botschaften zu greifbaren Erlebnissen werden zu lassen. „Kommunikation wird immer schneller und digitaler. Das was uns aber bleibt, sind die Dinge, die uns umgeben, die Faszination von Feuer, das Blicken auf Wasser“, sagt Wirtz. Um Nachrichten mehr Erinnerungswert zu geben, wollen Aerosoap Brücken zwischen der realen und der digitalen Welt schlagen. Es werden Labyrinth-Logos mit Hilfe verschiedener physikalischer Prozesse wie Feuer oder Chemikalien effektvoll inszeniert, Einweg-Handschuhe zum Winken animiert oder Körner zum Tanzen gebracht.

Am Beispiel des Körnchen-Walzers lässt sich der kreative Prozess der beiden eindrucksvoll nachvollziehen. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit für einen Produzenten von Tierfutter. Das Briefing war relativ offen, das Ergebnis sollte ein Image-Film für den Webauftritt sein. „Vieles wird schon in unserer Sprache vermittelt, so wird sie oft zum Startpunkt. Wir alle benutzen Metaphern, die mit Material zusammenhängen. Ob wir für etwas brennen oder ob wir jemandem den Wind aus den Segeln nehmen. In diesem Falle ging es neben der Vielfalt des Produkts auch um dessen Vitalität, das sollte die Botschaft sein. Die Frage war also, wie können wir den Körnern Leben einhauchen und so landeten wir beim Tanz, der uns zu Schallwellen brachte, die die Körner zum Walzer animieren.“ Das Ergebnis ist, wie alle Projekte von Aerosoap, in seiner Ästhetik an Modernität kaum zu überbieten.