Digitale Räume
Digitale Räume

Lockdown und Kontaktbeschränkungen haben große Teile des gesellschaftlichen Lebens ins Digitale verlegt. Zwei als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2020 ausgezeichnete Unternehmen zeigen, wie man gesellschaftlichen Herausforderungen mit konstruktivem Ideenreichtum begegnet und die neuen virtuellen Räume erobert.

Digitale Räume Wie kulturelle Events ins Internet verlagert werden

Lockdown und Kontaktbeschränkungen haben große Teile des gesellschaftlichen Lebens ins Digitale verlegt. Zwei als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2020 ausgezeichnete Unternehmen zeigen, wie man gesellschaftlichen Herausforderungen mit konstruktivem Ideenreichtum begegnet und die neuen virtuellen Räume erobert.

Digitale Räume Wie kulturelle Events ins Internet verlagert werden

Ob Videokonferenzen mit Kolleg*innen und Geschäftspartner*innen, der Austausch auf Social-Media-Plattformen oder das Einkaufen in Online-Shops: Man stelle sich das gesellschaftliche Leben in diesen Zeiten ohne die digitalen Möglichkeiten vor. Was vorher schon nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken war, hat mit der Pandemie für uns alle eine ganz neue Relevanz bekommen. Dass der Nutzen von digitalen Räumen jedoch weit über diese Zwecke hinausgehen kann, beweisen Unternehmer*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft, einer der von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Branchen. Diese kreativen Köpfe lassen sich nicht unterkriegen, stellen sich den aktuellen Gegebenheiten, und erobern bisher ungenutzte und ungesehene digitale Räume für ihre Zwecke. Zwei als Kultur- und Kreativpiloten Deutschland 2020 ausgezeichnete Unternehmen zeigen, wie man aus der Not eine Tugend machen kann, gesellschaftlichen Herausforderungen mit Mut und Ideenreichtum begegnet und wie daraus erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen.

Streaming-Formate als neue Form der künstlerischen Darbietung

Seit März letzten Jahres steht die Clubkultur vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten alle Musikspielstätten schließen und das Nachtleben in Deutschland kam zum Erliegen. Um Sichtbarkeit zu schaffen und gleichzeitig zu unterstützen entstand eine Spendenkampagne. Hinzukamen Live Streams aus Clubs, organisiert von mehr als 100 ehrenamtlich vereinten Kulturschaffenden. Die Spenden kamen Clubs, Veranstalter*innen und Künstler*innen zugute. Als Partner konnten ARTE concert, radioeins, ALEX TV und FLUX FM gewonnen werden sowie das Berliner Label SUOL. In nur wenigen Wochen entstand United We Stream, eine globale Kulturplattform und Streaming-Initiative, die lokale kulturelle Räume, Künstler*innen, Kulturschaffende, Unternehmen und Institutionen mit einem globalen Publikum verbindet.

Mittlerweile sind es über 2200 Künstler*innen in knapp 500 Locations in über 113 Städten weltweit, die es auf die digitale Bühne geschafft haben. Doch was war der Schlüssel zum Erfolg? „Während das Corona-Virus Veränderungen in unserem persönlichen und beruflichen Leben verursacht hat, fordert es uns auch auf, uns gegenseitig zu unterstützen und unseren Weg in eine neue Zukunft innovativ zu gestalten“, berichtet Anna Harnes, Mitgründerin von United We Stream. Insbesondere Kollaborationen verhalfen der Plattform zum Erfolg. Laut Harnes liegen „Lösungen für die gravierendsten Probleme (…) in kollektivem Handeln, dezentralisierter Innovation und gemeinsamer Verantwortung.“ Streaming-Formate, wie das von United We Stream, entwickeln sich zunehmend zu einer neuen Form der künstlerischen Darbietung. Der digitale Raum bricht Strukturen auf und schafft Platz für Innovation und Alternativen.

Streams sollen nicht als „Ersatz für Kulturorte dienen, sondern vielmehr eine Bereicherung der Kulturlandschaft sein“.

Warum Digitalität bleibt auch wenn wir uns wieder treffen können

Auch über den Zeitraum der Pandemie hinaus können diese Formate bestehen bleiben, denn Streams sollen nicht als „Ersatz für Kulturorte dienen, sondern vielmehr eine Bereicherung der Kulturlandschaft sein“ meint Harnes. „Unser Fokus bei United We Stream liegt darauf, diese Plattform weiterzuentwickeln und zu innovieren, um die Vision einer besseren, diversen Welt zu verwirklichen, in der Kunst und Kultur als system- und ‚freude-relevant‘ anerkannt werden.“ Was den digitalen Raum zusätzlich besonders auszeichnet: Es gibt keine Türsteher*innen, die ein bestimmtes Publikum auswählen und keine Einschränkungen aufgrund des Standorts des*der Besucher*in: Menschen auf der ganzen Welt können an den Kulturproduktionen teilnehmen.

Um Kultur in den digitalen Raum zu heben, brauche es aber ein solides Grundwissen seitens der Kulturschaffenden, betont Harnes. Hierfür müssen die Möglichkeiten für Erfahrungsaustausch und Netzwerken und die Verknüpfung zu anderen Branchen ausgebaut werden. Diese strukturellen Bedingungen zu verstärken und auszubauen hat sich United We Stream zur Aufgabe gemacht. Sie generieren nachhaltige, strategische Partnerschaften mit verschiedenen Verbänden und möchten branchenübergreifende Allianzen entstehen lassen.

Aus der Spendenkampagne entstand ein Verein, der Sichtbarkeit für Clubkultur global schafft. In naher Zukunft entsteht daraus eine GmbH, um gemeinnützig und wirtschaftlich agieren zu können, berichtet Harnes. „Durch die nachhaltige, strategische Verknüpfung von Partnerschaften zwischen United We Stream, den Orten und Akteur*innen der Clubkultur mit Stakeholder*innen aus Wirtschaft und Gesellschaft entsteht ein neues Format einer Kulturplattform.“ So schließt sich ebenfalls die Gründung einer Global Association an.

„Kreative wollen in Leerstände hinein und diese mit Leben füllen."

United We Stream ist auf dem besten Weg aus einer Solidaritätsaktion ein tragfähiges Geschäftsmodell zu machen. Der Verein sah Möglichkeiten, wo es vorher keine gab und nutzte die unvorhergesehenen Ereignisse. Schaut man auf die Geschichte der Clubkultur, hat das Besetzen von neuen Räumen, um darin kreativ zu sein, schon lange Tradition. Auch der Vorstand des u-instituts für unternehmerisches Denken und Handeln e.V., Ideengeber und Initiator der Auszeichnung Kultur- und Kreativpiloten Deutschland, Christoph Backes betont, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft dazu prädestiniert sei, ungenutzte Räume zu erobern und zu eröffnen: „Kreative wollen in Leerstände hinein und diese mit Leben füllen. Wenn das nicht analog geht, dann eben digital. Und durch das Digitale gehen die Chance der Neueröffnung ins Unendliche.“

Hybride Events mit Garamantis

Digitale Räume erobern auch die Kultur- und Kreativpiloten Garamantis. Sie entwickeln interaktive Installationen, mobile Anwendungen und Multi-Touch-Lösungen für Unternehmen und Institutionen. Dabei steht immer der kreative und unkomplizierte Umgang mit neuen Technologien im Vordergrund. Die Expertise des Teams liegt besonders im Bereich der hybriden Events – also Veranstaltungen, die gleichzeitig analog und digital stattfinden und eine direkte Interaktion zwischen allen Teilnehmer*innen ermöglichen. So haben sie beispielsweise zum Tag der deutschen Einheit 2020 die Einheits-Expo gestaltet. Zu diesem Anlass konnten alle Bürger*innen Kunstwerke in Form von Bildern, Videos und Audios einreichen. Diese wurden dann nicht nur vor Ort, sondern zusätzlich auch in einer 3D-Welt ausgestellt, die Garamantis konzipierte.

„So konnten viel mehr Kunstwerke gezeigt und erklärt werden, als das analog möglich gewesen wäre“, erzählt Andreas Köster, Head of Communications bei Garamantis. Zusätzlich wurde das analoge Event live in der 3D-Welt gestreamt, um eine Verknüpfung herzustellen. An diesen Schnittstellen zu arbeiten und Menschen sowohl analog als auch digital zusammenzubringen, sei für Garamantis sehr spannend. „Was aus unserer Sicht besonders wertvoll ist bei digitalen Veranstaltungen, ist das neugierige Erkunden der Besucher*innen und das zufällige Begegnen und Austauschen zwischen ihnen. Das ist ein essenzieller Bestandteil jeder Veranstaltung und kann bei einer klassischen Videokonferenz nicht erreicht werden“, so Andreas Köster.

„Die Anfragen reichen von remote Vertriebspräsentationen, über digitale Messen bis zu virtuellen Führungen.“

Virtueller Showroom statt Powerpoint-Präsentation

Insbesondere seit Ausbruch der Corona-Pandemie sei die Nachfrage nach allen Arten von digitalen und hybriden Formaten gestiegen. „Die Anfragen reichen von remote Vertriebspräsentationen, über digitale Messen bis zu virtuellen Führungen.“ Wie vielseitig die Möglichkeiten sind, wird einem erst klar, wenn man das Angebot von Garamantis mal genauer betrachtet: Garamantis möchte das technisch Machbare maximal ausreizen. Messen und Events stellen sich die Gründer grundsätzlich hybrid vor. So könnten es zum Beispiel digital Teilnehmenden ermöglichen, sich per Telepräsenz-Screens oder sogar per Telepräsenz-Roboter beim physischen Event dazu zuschalten, um eine „transparente Kommunikation zwischen dem Vor-Ort-Event und der Online-Repräsentation“ zu ermöglichen.

Abgesehen von der Transformation von Veranstaltungen, sieht das Team aber besonders bei Remote-Präsentationen in Unternehmen noch große Potenziale. Beispielsweise könnten Vorträge von Unternehmensinhalten im Video-Gespräch viel beeindruckender und spielerischer präsentiert werden, berichtet Andreas Köster: „Wo momentan noch das Webcam-Bild und der geteilte Desktop mit Powerpoint-Präsentation der Status Quo sind, lassen wir stattdessen die Teilnehmer*innen einen virtuellen Showroom betreten. Der*die Präsentator*in wird live gefilmt und geschnitten und ist dann Teil der 3D-Umgebung des Unternehmens, beispielsweise einer Produktionsanlage“. Das funktioniere auch unabhängig vom Endgerät der Teilnehmer*innen.

Digitale Auszeichnung der Kultur- und Kreativpiloten 2020

Auch für die Auszeichnung der Kultur- und Kreativpiloten 2020 musste in Pandemie-Zeiten ein adäquater Raum gefunden werden. Seit jeher ist die Auszeichnungsveranstaltung ein feierliches Event mit hunderten von Gästen aus Presse, Politik und Wirtschaft, Laudatien, Impulsvorträgen und Paneldiskussionen. Anschließend präsentieren die Titelträger*innen ihre Unternehmen an Messeständen und es bleibt Zeit zum Netzwerken und um sich die Projekte und Ideen der Titelträger*innen anzusehen. Was in den letzten Jahren in namhaften Berliner Locations stattfand, musste dieses Jahr also in den virtuellen Raum verlegt werden. So wurden die Titelträger*innen erstmals per Livestream ausgezeichnet.

"Wir selbst nutzen digitale Formate für Veranstaltungen, aber auch für 3D-Simulationen – sowohl für unsere Planungen als auch künftig für den Vertrieb.“

Anstatt der Präsentation an den Messeständen, hat sich das Organisationsteam für die Ausstellung der Titelträger*innen in diesem Jahr ebenfalls etwas Neues ausgedacht: eine Ausstellung auf dem virtuellen Gelände des Flughafens Berlin-Tegel. Als eines der ersten Projekte hatte die Auszeichnung die Ehre, die Nachnutzung der freiwerdenden Flächen mit innovativen Ideen zu füllen. In den virtuellen Räumen der Mozilla Hubs wurde das markante Sechseck-Terminal nachgebaut und jedes Unternehmen bekam einen Ausstellungsraum. Warum der altehrwürdige Flughafen Tegel der ideale Ort für den Abflug der Kreativpilot*innen ist, erklärt Dr. Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH: „Berlin TXL steht für neues Denken, kollaborative Zusammenarbeit und Innovation. Branchengrenzen verschwimmen immer mehr und kreative Erneuerung entsteht am besten dort, wo Menschen unterschiedlicher Profession und mit offenem Mindset gemeinsam an Lösungen arbeiten. In Berlin TXL werden die Forschung, Entwicklung, Produktion und Anwendung neuer Technologien für die Stadt der Zukunft im Mittelpunkt stehen. Jeder kreative Kopf, der dies unterstützen kann, wird willkommen sein.“ 

Mit 3D-Objekten, kurzen Filmen und anschaulichen Galerien wurden die Unternehmungen der Kultur- und Kreativpiloten 2020 so auch von den heimischen Desktops aus erlebbar.  Per Avatar kann man von überall und jederzeit an der Ausstellung teilnehmen und mit den Avataren der anderen Besucher*innen ins Gespräch kommen. Auch Dr. Philipp Bouteiller findet die neuen Möglichkeiten des Austauschs und der Präsentation einer solchen digitalen Zwischennutzung besonders spannend. „Mit großer Flexibilität und dem Potenzial, Menschen ganz unabhängig ihres Aufenthaltsorts teilhaben zu lassen. Wir selbst nutzen digitale Formate für Veranstaltungen, aber auch für 3D-Simulationen – sowohl für unsere Planungen als auch künftig für den Vertrieb.“
Digitale Räume versprechen – auch nach der Pandemie – zu einer nicht mehr aus unserem gesellschaftlichen Bewegungsradius wegzudenkende Erweiterung für kulturelle und wirtschaftliche Repräsentationen und Diskurse zu werden. Wir sind gespannt wie es weitergeht und welche virtuellen Türen innovative Unternehmer*innen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft in Zukunft noch öffnen werden.

Autorinnen: Marleen Fitterer und Lisa Ratering
Bilder Credits:
unsplash, Jascha Müller-Guthof, Garamantis, Marleen Fitterer, Grafik Mozilla Hubs Kreativpiloten